Bürgerbeteiligung einfach gemacht — aber nicht einfacher, als es ist
von Christine Hübner.
In den Zeiten der Eurokrise und immer komplexer werdender, weitreichenderer Zusammenhänge wünscht sich manch einer nichts als etwas mehr Einfachheit in der Politik. Man konnte sich vermeintlich freuen, als es kürzlich in München per Bürgerentscheid um eine Entscheidung zum Flughafenausbau ging: „Ja oder Nein zur dritten Startbahn“ – das klingt erst einmal ziemlich einfach. Dinge so einfach wie möglich, aber auch nicht einfacher zu betrachten, mahnte schon Albert Einstein. Das Gegenteil aber ist in München geschehen und sorgt nun für ein Partizipationsfiasko in der bayrischen Landeshauptstadt. Und für einen weiteren Beweis dafür, dass direkter Bürgereinfluss auf die Politik gut durchdacht werden muss, um einfach zu sein.
Wer darf eigentlich mit abstimmen?
Gegner konnten den ersten Schwachpunkt des Münchner Verfahrens bereits in seiner Anlage finden: Abstimmen durften alle wahlberechtigten Münchner, nicht aber die vom Ausbau des Flughafens unmittelbar betroffenen Anwohner im Erdinger Moos. Auch Freisinger, Augsburger oder Ingolstädter, die durch den Ausbau des Flughafens womöglich mehr Urlaubsfliegerangebote oder bessere Verbindungen für Geschäftsreisen wahrnehmen könnten, wurden nicht gefragt. Wie schon beim anderen verkehrspolitischen Streitthema des Jahres – Stuttgart 21 – ergibt sich die unweigerliche Frage: Wer darf hier eigentlich mitentscheiden?
Bürgerentscheide sind dann einfach, wenn sich alle beteiligen können, die die Sache angeht. Das mag einfach zu bestimmen sein, solange eine Angelegenheit eindeutig lokal begrenzt zu entscheiden ist. Kommunen und Gemeinden führen bereits heute erfolgreich Bürgerbeteiligungsverfahren zu Haushaltsentscheidungen und Planfeststellungsverfahren durch. Das Münchner Beispiel aber zeigt, wie vielschichtig schon vermeintlich lokale Angelegenheiten sein können. Wer entscheidet, wessen Interessen in einer Problemlage eine Rolle spielen und wessen nicht? Für die Reichweite von Bürgerbeteiligungsverfahren gibt es weder in Deutschland noch in Europa eindeutige Richtlinien. Über diese aber muss zwingend nachgedacht werden, bevor direkte Bürgerbeteiligung einfach durchgeführt werden kann.
Worüber wird eigentlich noch abgestimmt?
Zum Fiasko aber wurde der Münchner Bürgerentscheid, als Landesvater Horst Seehofer bereits vor der Abstimmung öffentlichkeitswirksam erklärte, er wolle den Bürgerwillen zum Flughafenausbau in keinem Fall akzeptieren. Hiermit beging Seehofer nicht nur einen Fehltritt in Sachen Bürgervertrauen, sondern er demonstrierte auch ein strukturelles Problem von direkter Bürgerbeteiligung: Wofür stimmt man als Bürger im Einzelfall eigentlich genau ab und welchen Einfluss hat die eigene Entscheidung? „Dritte Startbahn – ja oder nein?“ war im Münchner Fall überhaupt nicht die Frage. Die Bürger stimmten darüber ab, ob die Stadt als einer der Eigner des Münchner Flughafens für oder gegen den Bau der Startbahn stimmen sollte. Wie viele der Münchner Wahlberechtigten das aufgrund mangelnder Transparenz im Vorfeld der Kampagne überhaupt genau verstanden hatten, bleibt fraglich.
Bei der Reichweite von Bürgerentscheidungen spielt auch deren geplante Umsetzung eine Rolle. Interessen und Werte in einen demokratischen Entscheidungsprozess einzubringen heißt nicht nur, alle Bürger zu befragen. Es bedeutet auch, Bürgern eine reelle Chance zu geben, sich eine Meinung bilden und auf deren Einfluss auf die Politik vertrauen zu können. Dafür muss klar geregelt und im Vorfeld transparent kommuniziert sein, welche Auswirkung ein Bürgerentscheid hat und wie er umgesetzt wird. Mit der notwendigen Definition von Standards für den Einfluss von Bürgerentscheiden werden Verfahren der Bürgerbeteiligung nicht nur einfacher. Gleichbleibende Regeln geben dem einzelnen Bürger auch die Chance, Vertrauen in das Verfahren und die Politik, die damit beeinflusst wird, zu gewinnen.
Bürgerbeteiligungsverfahren müssen durchdacht sein, um einfach zu sein
Das Streben danach, möglichst viele Interessen und Werte in Politik einzubringen, ist das Grundprinzip von Demokratie und rechtfertigt jedwede Form der direkten Bürgerbeteiligung. Es macht sie jedoch nicht einfacher. Das muss endlich von allen verstanden werden, von bedingungslosen Befürwortern und überzeugten Ignoranten vom Schlage Seehofers gleichermaßen. Um Bürgerbeteiligungsverfahren erfolgreich zu gestalten und Bürger selbst davon zu überzeugen, müssen sie zwingend durchdacht und einfacher zu verstehen sein. Dazu müssen
- Richtlinien zur Reichweite von Bürgerbeteiligung auf Länder‑, Bundes- sowie europäischer Ebene nach dem Subsidiaritätsprinzip entwickelt werden;
- Standards für den Einfluss und die Umsetzung von Bürgerentscheiden durch Bürger getroffene Entscheidung festgelegt und im Vorfeld einer Kampagne klar kommuniziert sein; und
- Politische Bildung im Allgemeinen sowie transparente Kommunikation zu den Auswirkungen einer Entscheidung im Speziellen gefordert und gefördert werden. Sie sind der Schlüssel zu informierten Bürgerentscheidungen.
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Christine Hübner ist Partnerin bei d|part.
Disclaimer
Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten und Meinungen entsprechen denen der Autorin.