#Partizipationsdebatten

Caught in a bad romance? Die Zukunft von Parteien in der politischen Partizipation

von Dr. Anne Heyer 

Mittlerweile scheint sich der ursprüngliche Enthusiasmus gegenüber Parteien zu einer gelangweilten Ernüchterung entwickelt zu haben. Vor allem das Vertrauen in die Fähigkeit von Parteien, als Brücken zwischen Gesellschaft und Politik zu fungieren, ist in den letzten Jahrzehnten gesunken. Wie in der von Lady Gaga so erfolgreich besungenen toxischen Beziehung erscheinen uns Parteien als einstige Vertraute, die sich immer weiter von den eigenen Erwartungen entfernt haben. Ein oft genannter Grund hierfür ist die zunehmende Professionalisierung, die den allgemeinen Eindruck verstärkt, es handle sich bei Parteien um seelenlose Maschinen für zynische Karrierepolitiker. Die sogenannte Ochsentour durch die Parteienhierarchien ist im Zweifelsfalle wichtiger als professionelle Qualifikationen oder die Alltagserfahrungen der Bürger. Auch am Begriff der Kartellpartei lässt sich der Niedergang früherer Massenparteien verfolgen. In den 1990er haben Wissenschaftler die Entwicklung von Parteien als gesellschaftlich verankerte Organisationen hin zu einer zunehmenden Abhängigkeit von staatlichen Institutionen beschrieben. Inzwischen hat der Kartellparteibegriff eine erstaunliche Karriere vom wissenschaftlichen Konzept hin zum Lieblingsbegriff der neuen populistischen Rechten durchlaufen.

Zusätzlich zu dem Anschein eines karrierehungrigen Spitzenpersonals haben Parteien eine Aura, die man euphemistisch als aufgeräumte Organisiertheit beschreiben könnte, die aber eher der Spannungskurve einer Runde Bingo in der Cafeteria des Finanzamtes einer deutschen Kleinstadt gleicht. Der Versuch von einigen jüngeren Politikern, sich mit Hilfe der sozialen Medien neu zu inszenieren, scheint (Rezo zum Trotz) an etablierten Parteistrukturen zu scheitern. Zudem wirken diese Versuche umso aussichtsloser, wenn man sich die kreativen Protestformen einiger Vertreterinnen von sozialen Bewegungen anschaut, die beispielsweise eine erstaunlich tiefgehende Diskussion zum Thema Rassismus und Lifestyle in den sozialen Medien unter #blackouttuesday führen können und denen es trotz Covid 19 gelingt, ihren Protest etwa mit eingesammelten Plakaten vor dem Bundestag in den öffentlichen Raum zu bringen.

Vom immerwährenden Anfang vom Ende

Ist es also Zeit, das Ende der Partei auszurufen? Man könnte den Eindruck bekommen, dass wir uns am Anfang vom Ende der Parteiendemokratie befinden. Buchtitel wie „Postdemokratie“ und „Gegen Wahlen“ lassen nichts Gutes für deren Zukunft erahnen. Hier kann ein Blick in die Vergangenheit durchaus neue Einsichten ermöglichen. Es mag zwar ein bisschen enttäuschend sein, aber die Befürchtung, dass Parteien unsere Gesellschaft unweigerlich in eine Zukunft „in Dunkelheit“ lenken, ist keine neue Feststellung, sondern bereits in der Entstehungsperiode der ersten Parteien geäußert worden. In diesem Fall stammt das Zitat aus den Niederlanden (für die sprachbegeisterten Leser und Leserinnen im Homeoffice). Die berühmte Befürchtung des Soziologen Robert Michels, dass Parteien seelenlose bürokratische Monster ohne demokratische Werte wären, scheint über die Jahre hinweg ein häufigeres Revival als die Hüftjeans zu haben. (Michels Klassiker gibt es übrigens hier zum legalen kostenfreien Download.) Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass den Parteien bereits, als sie noch jung und angesagt waren, ihre Kompatibilität mit demokratischen Normen und ihre Innovationsfähigkeit angezweifelt wurden.

Immerwährender Zweifel an ihrer demokratischen Legitimation ist eine beliebte Art den Zustand von Parteien zu beschreiben. Die andere Perspektive hat einen weniger apokalyptischen Anstrich und handelt von einer langen Geschichte enthusiastischen Parteimitgliedern, die in schwierigen Zeiten zueinander fanden, vollwertige Bürger wurden und Demokratie mit kreativen Methoden in autoritären Strukturen etablierten. Für ihre Mitglieder waren und sind Parteien nicht der langweilige Ort stumpfer Versammlungen, sondern ein identitätsstiftendes Instrument, welches die persönliche Entwicklung mit dem Dienst an der Gesellschaft verbindet. Übrigens stellten Parteimitglieder immer einen auffallend kleinen Teil der Gesamtgesellschaft dar. Das mag man problematisch für die repräsentative Funktion von Parteien finden. Es ist aber als Abwärtstrend weder empirisch fundiert noch eine Entwicklung, die auf das Ende der Partei schließen lässt.

Zukunftsvisionen

Es lässt sich also schlussfolgern, dass Parteien seit langem zugleich demokratisch und undemokratisch, langweilig und aufregend, erfolgreich und leblos sind. Dies zeigt sich auch im Vergleich mit ihren Schwesterorganisationen der sozialen Bewegungen, die oft als bessere (=aufregendere) Form politischer Partizipation erscheinen. Soziale Bewegungen und Parteien sind historisch eng miteinander verwoben. Inhaltliche und organisatorische Erneuerungsimpulse, die zum Beispiel zur der Gründung grüner Parteien in den 1980er führten, kamen aus sozialen Bewegungen, genau wie die neuesten Veränderungen europäischer Parteienlandschaften am rechten und linken populistischen Rand aus Protestbewegungen entstanden sind.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass politische Innovation allein außerhalb von Parteien zu verordnen ist. Zum ersten recyclen soziale Bewegungen auch althergebrachte Protestformen. Der Protest auf der Straße und das Ausrufen von sozialen Losungen ist so alt wie das Stürmen der Barrikaden in Paris während der Französischen Revolution. Soziale Bewegungen sind zweitens auch nicht immer demokratischer als politische Parteien. Parteien müssen sich zumindest in demokratischen Wahlen beweisen und agieren in Deutschland unter den engen Grenzen des Parteienrechts. Selbst die Diskussionen um ihre demokratische Legitimität teilen soziale Bewegungen mit Parteien, wie die Kritik an Greta Thunberg als Ikone von Fridays for Future zeigt.

Es ist also relativ einfach, die Zukunft von politischen Parteien mit dem Ende einer schlechten Romanze aus einem Popsong aus dem letzten Jahrzehnt zu vergleichen. Zumindest die Autorin dieses Beitrages kann sich dieser Versuchung nicht entziehen. Bezogen auf das Jahr 2020 kann man dagegen sagen, dass unsere Langeweile und Kritik an Parteien ein Zeichen von zwei wichtigen Entwicklungen sind: einerseits die weitgehende Normalisierung von demokratischen Prozessen und andererseits ein Ausdruck von unserem gewachsenen Anspruch an politische Partizipation. Das Erste ist eine gute Entwicklung, die uns den hohen Entwicklungsgrad demokratischer Institutionen seit den emanzipatorischen Kämpfen früher Demokraten zeigt. Das Zweite ist eine Konstante politischer Geschichte, die für den Fortbestand von politischen Parteien spricht. Der momentane Krisenhype lässt nicht auf das Ende von Parteien schließen, sondern eröffnet die Möglichkeit, demokratische Normen und Praktiken für die Zukunft neu auszuloten. Das kann einer festgefahrenen Beziehung neuen Antrieb geben. Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte der modernen politischen Partizipation.

Dr. Anne Heyer ist Dozentin am Institut für Geschichte der Universität Leiden in den Niederlanden und Gründungsmitglied von d|part. In ihrer Forschung beschäftigt sich Anne mit politischer Partizipation und Massenpolitik in Europa (Deutschland, Niederlande, Großbritannien und Spanien). Bei d|part hat Anne an verschiedenen Forschungs- und Öffentlichkeitsarbeitsprojekten gearbeitet, unter anderem an Publikationen zu populistischen Parteien in Europa und zu den politischen Einstellungen junger Menschen vor dem schottischen Unabhängigkeitsreferendum.