Ein Bosnischer Frühling?


Von Jan Lieb­nitzky.

Sarajevo-2

 

In Bosnien und Herze­gow­ina (BuH) geht knapp 20 Jahre nach dem Day­ton­er Friedens­abkom­men so einiges schief. Obwohl die inter­na­tionale Gemein­schaft hier nach dem Krieg ein immenses Wieder­auf­baupro­gramm begann, welch­es bis heute andauert, herrschen Kor­rup­tion, Mis­s­wirtschaft und inkom­pe­tente poli­tis­che Eliten. Die Erwerb­slosigkeit liegt bei fast 40 Prozent, wobei Jugendliche und ländliche Gebi­ete in beson­derem Maße betrof­fen sind. In den let­zten Tagen haben vor allem diese Grup­pen ihrem Unmut Luft gemacht: Studierende und Arbeit­slose sind auf die Straße gegan­gen, zuerst in der Kan­ton­shaupt­stadt Tuzla. Der Aus­lös­er dort war die Schließung einiger Fab­riken. Nach ein­er Woche wurde auch in Sara­je­vo protestiert.

Erstaunlich ist, dass schon am zweit­en Protest­tag die Demonstrant_Innen ein Regierungs­ge­bäude in Sara­je­vo in Flam­men gesteckt haben. Protest­for­men wie Sprechchöre und Trans­par­ente fehlten. Mit klas­sis­chen For­men der poli­tis­chen Par­tizipa­tion, wie beispiel­sweise Parteien, meinen viele Men­schen keine Chance zu haben. Auf die Frage, warum hier nicht zuerst friedliche Demon­stra­tio­nen stat­tfan­den, wird argu­men­tiert, dass „dies nichts nütze“ und schon vor einem hal­ben Jahr gemacht wurde als man gegen die Reg­istri­er­num­merierung für Neuge­borene demonstrierte.

Nach der anfänglichen Wut sind die Proteste nun friedlich­er und auch spär­lich­er besucht. Derzeit organ­isieren sich Bürg­er­ple­nen und Räte zu ver­schiede­nen The­menge­bi­eten, um poli­tis­che Forderun­gen zu erstellen. In Tuzla, der Stadt in welch­er die ersten Protest­be­we­gun­gen aufka­men, sind einige der Forderun­gen bere­its durchge­set­zt. Unter anderem hat die dor­tige Regierung beschlossen, dass zurück­ge­tretene Politiker_Innen ihre nor­maler­weise fort­laufend­en Zahlun­gen ver­lieren. Eben­so sind mehrere Politiker_Innen schon zurück­ge­treten. Die bre­ite Masse scheint aber nicht auf der Straße zu sein — höch­stens ein paar hun­dert bis wenige tausend Leute. Dies lässt an der Legit­im­ität der Forderun­gen und Räte zweifeln.

Längst ist auch nicht über­all in BuH Protest­stim­mung: Der Ver­trag von Day­ton teilte das Land in zwei weitest­ge­hend unab­hängige Entitäten. Die Repub­li­ka Srp­s­ka (RS) ist mehrheitlich von Serb_Innen bewohnt. Die Föder­a­tion Bosnien und Herze­gow­ina hinge­gen bewohnen vor allem Bosniak_Innen (bosnis­che Mus­lime) und Kroat_Innen. Ein klein­er Dis­trikt um die Stadt Brčko besitzt Son­der­sta­tus und wird von bei­den Entitäten ver­wal­tet. Die Proteste find­en lediglich in der Föder­a­tion Bosnien und Herze­gow­ina statt. Eine Ausweitung in die RS ist nicht in Sicht. Im Gegen­teil: ser­bis­che Politiker_Innen set­zen mit stark­er Rhetorik alles daran, Proteste in der RS zu ver­hin­dern. Der Präsi­dent der RS Herr Dodik, betonte die eth­nis­che Zer­split­terung des Lan­des: „Die Proteste gehen vor allem von Bosni­ak­en aus“ sagte er und gab zu ver­ste­hen, dass in RS poli­tisch alles in Ord­nung sei. Bei den Protesten find­en sich aber auch Men­schen ander­er Reli­gio­nen und Grup­pierun­gen, die sich aber nicht deswe­gen voneinan­der abgren­zen wollen.

Die Rhetorik ser­bis­ch­er Politiker_Innen zeigt Erfolg. In der RS kam es bish­er nur zu kleinen Protesten, die sich sog­ar mit Gegen­demon­stra­tio­nen kon­fron­tiert sahen. Das dürfte ganz im Sinne der Nach­barstaat­en Kroa­t­ien und Ser­bi­en sein. 

Sarajevo

So wie das Day­ton Abkom­men BuH nach innen geteilt hat, so hat es nach außen den­noch einen sta­bilen Staat in der Balka­n­re­gion geschaf­fen. Ser­bi­en und Kroa­t­ien ist wenig an einem poli­tisch insta­bilen Nach­bar­land gele­gen, denn den bei­den Län­dern geht es wirtschaftlich und poli­tisch bess­er als BuH. Kroa­t­ien ist neustes Mit­glied der Europäis­chen Union (EU) und mit Ser­bi­en hat die EU bere­its Beitrittsver­hand­lun­gen aufgenom­men. Was macht BuH falsch, dass es sich immer weit­er von dem Rest Europas zu ent­fer­nen scheint?

Der Euro­pean Progress Report 2013 zu BuH, der sich mit der wirtschaftlichen und poli­tis­chen Sit­u­a­tion in Hin­blick auf eine EU-Annäherung des Vielvölk­er­staates beschäftigt, ist in fast allen Punk­ten ernüchternd: Bosnis­che Poli­tik­er haben wichtige europäis­che Vor­gaben zu Gle­ich­berech­ti­gung und poli­tis­ch­er Par­tizipa­tion bish­er nicht durchge­set­zt. So wurde nach dem Sejdic-Fin­ci Urteil des Europäis­chen Men­schen­rechts­gericht­shofes wed­er Juden und Roma erlaubt z.B. in das Präsi­den­te­namt gewählt zu wer­den, noch gibt es einen Ansprech­part­ner für EU-Belange. Der Grund liegt in der sich selb­st block­ieren­den Zen­tral­regierung mit Rota­tion­ssys­tem: alle acht Monate ist ein­er der drei Präsi­den­ten, die je eine Volks­gruppe repräsen­tieren im Amt. Länger­fristige Refor­men inner­halb ein­er kohärenten und nach­halti­gen Poli­tik kön­nen so nicht umge­set­zt werden.

Die Proteste in BuH zeigen, dass das Volk sowohl mit dem poli­tis­chen Sys­tem als auch mit der wirtschaftlichen Sit­u­a­tion unzufrieden ist. Dieser Unmut ist während den Protesten angeschwollen und hat sich in gewalt­samen Aktio­nen man­i­festiert. Ob dadurch ein entschei­den­der Rich­tungs- oder Denkwech­sel in der bosnis­chen Poli­tik erfol­gt, bleibt fraglich. Der Weg in die EU ist für Bosnien und Herze­gow­ina erst ein­mal ver­baut, wenn das Land weit­er­hin poli­tisch still­ste­ht und eth­nis­che Grabenkämpfe nicht über­windet. Da ist es nur ver­ständlich, wenn junge und gutaus­ge­bildete Bosnier_Innen pro­bieren das Land zu ver­lassen oder ihre Wut auf der Straße kundtun.

Jan Lieb­nitzky studiert Psy­cholo­gie und Ökonomie an der TU Dres­den und schreibt zurzeit seine Diplo­mar­beit zum The­ma indi­vidu­eller Moral­isierung­sprozesse und Ein­stel­lun­gen bezüglich human­itär­er Interventionen.

Dis­claimer

Die in diesem Artikel geäußerten Ansicht­en und Mei­n­un­gen entsprechen denen des Autors.

 

Related Posts

Leave Your Comment