Muss man denn gleich etwas ändern, weil man unzufrieden ist?


von Jan Eich­horn.

Deutsch­land scheint momen­tan in ein­er para­dox­en Sit­u­a­tion zu sein: Ein­er­seits ist die große Mehrheit unzufrieden mit den Entschei­dun­gen der momen­ta­nen Bun­desregierung (wie zum Beispiel in Fra­gen des Betreu­ungs­geldes). Zudem glauben unge­fähr drei Vier­tel, dass die Kan­z­lerin in der NSA Affäre nicht die Wahrheit sagt. Ander­er­seits hat die aktuelle Koali­tion aus CDU/CSU und FDP in aktuellen Umfra­gen eine absolute Mehrheit in der Son­ntags­frage. Sollte man da nicht stutzig wer­den? Wenn die Leute unzufrieden mit den Beschlüssen der poli­tisch Ver­ant­wortlichen sind und glauben, dass sie angel­o­gen wer­den, soll­ten sie dann nicht auch ihre Regieren­den aus­tauschen wollen?

Schein­bar nicht – während es in vie­len spez­i­fis­chen Fra­gen sehr neg­a­tive Ein­schätzun­gen für aktuelle Beschlüsse gibt, ist die Zufrieden­heit mit der Regierung generell auf hohem Niveau – vor allem dann, wenn es in Verbindung mit der Kan­z­lerin gese­hen wird (jedoch nicht, wenn es in Verbindung mit den regieren­den Parteien betra­chtet wird). Hier scheinen also die pos­i­tiv­en Effek­te der per­sön­lichen Beliebtheit der Kan­z­lerin zu wirken, was vielle­icht erk­lärt, warum es vie­len Leuten schein­bar nicht wichtig ist, dass sie nach eigen­em Empfind­en über die NSA Verbindun­gen von ihr nicht kor­rekt aufgek­lärt werden.

Aber das würde wohl kaum aus­re­ichen, um die anderen Dis­so­nanzen zwis­chen sach­lich­er Ein­schätzung der The­men und Wahlin­ten­tio­nen zu erk­lären. Jörg Schö­nen­born präsen­tierte daher in den Tages­the­men eine zweite rel­e­vante Sta­tis­tik: Die Ein­schätzung der eige­nen wirtschaftlichen Lage ist im Durch­schnitt auf dem höch­sten Niveau seit den 1990er Jahren. Also würde das alte Dog­ma gel­ten, dass Men­schen sich ruhig ver­hal­ten, wenn sie sich materiell gesichert und pos­i­tiv entwick­el­nd sehen – auch wenn sie bes­timmten poli­tis­chen Entschei­dun­gen in der Sache widersprechen.

Man kann das als ein­fache Tat­sache abtun, oder es, so wie ich, beun­ruhi­gend find­en. Während die tat­säch­liche Erfahrung natür­lich eine Ein­schätzung der Qual­ität von geset­zlichen Beschlüssen bee­in­flussen sollte, scheint es besorgnis­er­re­gend, wenn das (gemis­cht mit Per­sön­lichkeits­beobach­tun­gen von Poli­tik­ern) alles sein sollte. Ger­ade nach den Erfahrun­gen der Finanzkrise von 2008 sollte es doch den meis­ten eigentlich noch klar sein, dass ökonomis­che Bedin­gun­gen sich erstens schnell ändern kön­nen und zweit­ens nur bis zu einem bes­timmten Grad von Regierun­gen bee­in­flusst wer­den kön­nen. Soll­ten denn Entschei­dun­gen über Geset­ze, die die Zukun­ft bee­in­flussen wer­den – nicht nur in wirtschaftlich­er Hin­sicht, son­dern in vie­len Poli­tik- und Lebens­bere­ichen – nicht auch grund­sät­zlich­er mit berück­sichtigt wer­den, wenn Regierun­gen evaluiert und Wahlentschei­dun­gen getrof­fen werden?

Vielle­icht zeigt sich hier ja etwas viel tiefer­ge­hen­des als Vor­lieben für eine Per­sön­lichkeit über eine andere und ein­fache Zufrieden­heit auf Grund von ein­er guten ökonomis­chen Sit­u­a­tion. Denn man kön­nte diese Ergeb­nisse auch so deuten, dass Men­schen von den Regieren­den gar nicht erwarten großen Ein­fluss auf ihre Leben­sum­stände ausüben zu kön­nen. Die weit­ge­hende Ohn­macht gegenüber vie­len Akteuren auf den glob­alen Finanz- und Waren­märk­ten kön­nten eine grund­sät­zliche Neuein­schätzung der Möglichkeit­en von demokratisch gewählten Vertretern zur Folge gehabt haben.

In diesem Sinne gewin­nen dann der- oder diejeni­gen poli­tis­che, die den pos­i­tiv­en Nutzef­fek­ten am Wenig­sten im Wege ste­ht – und nicht vielle­icht der- oder diejeni­gen, die das stärk­ste Pro­gramm für Verän­derun­gen haben, denen in der Sache, die meis­ten zus­tim­men wür­den. Denn wenn sie es für unglaub­würdig erachteten, dass poli­tis­che Insti­tu­tio­nen die Fähigkeit haben, solche (wün­schenswerten) Verän­derun­gen zu bew­erk­stel­li­gen, dann würde die Zus­tim­mung in der Sache keine Rolle spie­len. Wenn das der Fall wäre, hät­ten wir ein enormes Prob­lem – denn es würde eine Apathie gegenüber repräsen­ta­tiv­er Demokratie stärk­er zemen­tieren und Möglichkeit­en für Verän­derung min­imieren. Und das wäre dann wirk­lich beunruhiged.

Jan Eich­horn ist Part­ner bei d|part.

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Die in diesem Artikel geäußerten Ansicht­en und Mei­n­un­gen entsprechen denen des Autors.

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