‚Ik Willem‘ oder ‚Ik Willem niet‘?


von Chris­tine Hübner.

Was die Nieder­län­der über die Monar­chie, Beteili­gung und ihren neuen König Willem-Alexan­der zu sagen haben

Men­schen­massen ganz in Orange, Fäh­nchen über Fäh­nchen, und nur noch orange Tomat­en in den Super­mark­tre­galen – es ist kaum zu überse­hen: Wir haben einen neuen König in den Nieder­lan­den! Die offizielle Abdankung von Köni­gin Beat­rix zusam­men und die Amt­se­in­führung ihres Sohnes Willem-Alexan­der macht­en die alljährlichen Feier­lichkeit­en zum König­in­nen­tag in diesem Jahr zu einem ganz beson­deren Spek­takel. Ich habe bere­its eher in diesem Blog darüber berichtet, wie span­nend es sich so lebt in einem Kön­i­gre­ich, wenn man in ein­er Repub­lik aufgewach­sen ist. Der Thron­wech­sel war somit für mich (wie auch für viele Nieder­län­der mein­er Gen­er­a­tion) ein ein­ma­lig aufre­gen­des Ereig­nis — und eine Chance, den Ein­fluss und die Akzep­tanz der Oran­jes ein­mal zu hinterfragen.

Ger­ade die frei­heit­slieben­den und lib­eralen Nieder­län­der über­raschen mich seit jeher mit ihrer Begeis­terung für ihre Roy­als und der bre­it­en Zus­tim­mung zur (par­la­men­tarischen) Monar­chie als Staats­form. Aktuellen Umfra­gen zufolge ist diese mit 85 Prozent über­wälti­gend hoch; nur 15 Prozent der Nieder­län­der wün­scht­en sich lieber eine Repub­lik. Noch beein­druck­ender ist die Tat­sache, dass die Zus­tim­mung (mit eini­gen weni­gen Aus­nah­men) seit den 60er Jahren auf dem­sel­ben hohen Niveau liegt. Während mehr als die Hälfte der poli­tis­chen Parteien im Land den Ein­fluss der Oran­jes auf eine rein zer­e­monielle Rolle beschränken will, sind 48 Prozent der Nieder­län­der mit der Verteilung der Macht zwis­chen König und Par­la­ment hochzufrieden. Mehr noch: In den let­zten Umfra­gen wün­scht­en sich 18 Prozent sog­ar mehr Macht für das Königshaus. Dementsprechend verir­rten sich auf die von den Repub­likan­ern aus­gerichtete Gegen­ver­anstal­tung zu den König­in­nen­tag-und-Thron­wech­sel-Feier­lichkeit­en nur wenige hun­dert Landsmän­ner und –frauen, und einige davon noch in Orange! Stimmt, die Argu­mente der Repub­likan­er gegen den Fortbe­stand des Königshaus­es sind wenig ein­fall­sre­ich: Die Monar­chie sei alt­modisch, ein nicht gewähltes Staat­sober­haupt undemokratisch und oben­drein kosten die Oran­jes den Steuerzahler zu viel Geld. Trotz­dem passt die Begeis­terung für das Könighaus auch für mich wenig zu den son­st so lib­eralen Niederländern.

Um her­auszufind­en, wie das zusam­men passt, habe ich mich am König­in­nen­tag in Orange unter das feiernde Volk gemis­cht und gefragt. Jan hat mir erzählt, dass er es ger­ade gut find­et, dass der König Ein­fluss auf die Poli­tik nehmen kann: “In unserem Sys­tem gibt es jeman­den ohne poli­tis­che Gesin­nung, der die Funk­tion hat, ein entste­hen­des Macht­vaku­um jed­erzeit zu been­den. Das ist ein­er der größten Vorteile der Monar­chie, denke ich. Es ist eine gute Sache, dass unser Staat­sober­haupt nicht gewählt wird. Da auf nationaler Ebene das Par­la­ment als einziges vom Volk gewählt wird, ist immer klar, wer das let­zte Wort hat. So eine Block­ierung wie von Oba­ma im Repräsen­tan­ten­haus in den USA kön­nte bei uns nicht passieren.“ 

Clau­dia fügt hinzu, dass die Oran­jes in der schwieri­gen nieder­ländis­chen Koali­tion­s­land­schaft eine Kon­stante sind: „Beat­rix war 33 Jahre lang eine Insti­tu­tion – die Min­is­ter­präsi­den­ten wech­seln ständig, aber sie blieb die gle­iche. Das gibt mir als Bürg­er eigentlich eher ein gutes Gefühl, dass da jemand ist, der jen­seits vom ganzen Poli­tik­erge­habe noch die Belange von uns Nieder­län­dern ver­tritt.“ Und anscheinend fällt die Suche nach Alter­na­tiv­en sowieso mager aus, zumin­d­est find­et Sjo­erd das: „Man muss sich eigentlich fra­gen, was die Alter­na­tive zur Monar­chie für uns ist. Soll­ten wir einen Präsi­den­ten haben? Der wird erstens nicht viel bil­liger als das Königshaus und übern­immt wahrschein­lich im Prinzip genau dieselbe Funk­tion. Ich will nicht, dass wir so ein Sys­tem kriegen, wo jed­er Idiot im Sen­at ein Gesetz block­ieren kann nur wegen sein­er eige­nen poli­tis­chen oder ökonomis­chen Agenda.“

Es gibt allerd­ings auch unter den Massen in Orange kri­tis­che Stim­men: „Erb­folge führt nicht zu den besten Kan­di­dat­en. Wenn der Wäh­ler die Macht hat, kann man sich wenig­stens noch selb­st entschei­den, wer geeignet ist, die Geschicke des Lan­des zu führen.“ find­et Bas. Louis fällt ihm ins Wort: „Ja, es ist vielle­icht nicht ganz demokratisch, jeman­den rein auf der Grund­lage von Geburt zum Staat­sober­haupt zu machen, aber glaub­st du wirk­lich, dass Präsi­den­ten da viel bess­er sind? Schau dir doch mal die ganzen Skan­dale in anderen Län­dern mit ihren Präsi­den­ten an! Das Sys­tem bei uns funk­tion­iert gut und die Nieder­lande ist, im Ver­gle­ich zum Aus­land, fast immer gut geführt.“

Allein die viel­geliebte und viel­ge­forderte Trans­parenz unser­er mod­er­nen Demokra­tien scheint ein echt­es Argu­ment gegen die Oran­jes zu liefern. Wim erzählt mir, was aus dem Palast Noordeinde in Den Haag an die Bürg­er dringt: „Nichts! Was mir miss­fällt, ist das die Oran­jes zu geheimniskrämerisch sind, ihr Han­deln zu undurch­sichtig ist. Das meiste spielt sich hin­ter geschlosse­nen Türen ab. Nimm zum Beispiel die regelmäßi­gen Tre­f­fen zwis­chen König und Min­is­ter­präsi­dent: Da kann doch alles Mögliche an Druck aus­geübt wer­den, wovon wir Bürg­er nie was mitkriegen. Sog­ar der Kon­takt mit den Abge­ord­neten, die dabei sind, unter­liegt dem Palast­ge­heim­nis.“ Das ist auch für Bas ein Prob­lem: „Die Monar­chie führt zu ein­er Art Hin­terz­im­mer­poli­tik. Wir Wäh­ler dür­fen nichts über den König und seinen Ein­fluss wis­sen, und kön­nen uns so kein Bild machen.“

Die eigentliche Frage ist also nicht, warum die Nieder­län­der so begeis­tert sind von der Monar­chie, son­dern vielmehr, was die Alter­na­tiv­en sind und ob diese für mehr Beteili­gung, gegen­seit­iges Ver­trauen, und eine akzept­ablere Poli­tik ste­hen. Den­nis sagt: „Dreh die Frage doch mal um: Was ist denn die Alter­na­tive zur Monar­chie wie wir sie heute haben? Und kom­men wir damit echt bess­er weg?“ Für viele Nieder­län­der machen die Oran­jes mit ihrem diplo­ma­tis­chen Stil in der Ver­mit­tler­rolle zwis­chen Poli­tik und Volk eine dur­chaus gute Fig­ur. Wenn sie die Poli­tik­er weit­er­hin zurück­hal­tend berat­en, sich volk­snah zeigen und an der Sache mit der Trans­parenz arbeit­en, gibt es keinen Grund, sie nicht zu mögen.

Mit dem neuen König Willem-Alexan­der erwarten viele Nieder­län­der genau das: einen Vertreter der jun­gen Gen­er­a­tion, der dichter dran ist am Leben im Volk. Der Grad an Ver­trauen in der Gesellschaft, der Beteili­gung und der Zus­tand der Demokratie scheinen in den Nieder­lan­den unab­hängig von der Wahl der Staats­form: Laut ein­er Studie von 2008 ist mehr als die Hälfte der Nieder­län­der (sehr) zufrieden mit dem demokratis­chen Sys­tem im Land. Wieder was gel­ernt! Bleibt nur noch die Frage, wie wir Deutschen oder andere Europäer das sehen wür­den, hät­ten wir einen König. Einen kleinen Hin­weis auf die Antwort gibt es schon mal: Auch rund 4 Mil­lio­nen Deutsche haben die Amt­se­in­führung des neuen nieder­ländis­chen Königs im Fernse­hen angesehen!

Chris­tine Hüb­n­er ist Part­ner­in bei d|part.

Dis­claimer

Die in diesem Artikel geäußerten Ansicht­en und Mei­n­un­gen entsprechen denen der Autorin.

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