Was passiert, wenn das Wahlalter auf 16 Jahre herabgesetzt wird?
Die Herabsetzung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre wird gegenwärtig in mehreren Ländern diskutiert, darunter auch in Deutschland. Oft wird dieser Schritt mit dem Ziel verknüpft, damit eine stärkere politische Beteiligung von jungen Menschen zu erreichen. Doch wie erleben junge Menschen das Wählen mit 16 und 17 Jahren, wenn sie tatsächlich erstmalig wählen dürfen? Antworten auf diese Frage liefert eine neue Studie zur walisischen Parlamentswahl, in der 16- und 17-Jährige in Wales erstmals wählen durften.
In Zusammenarbeit mit Dr. Katherine Smith, Dr. Andrew Mycock und Dr. Thomas Loughran von den Universitäten Liverpool, Huddersfield und der Nottingham Trent University haben d|parts Dr. Jan Eichhorn und Dr. Christine Hübner die neue Studie durchgeführt. In einer groß angelegten qualitativen Studie arbeiteten die Forschenden in Gruppendiskussionen vor sowie nach der Wahl und über Wahltagebücher mit 16- und 17-Jährigen aus ganz Wales. Zusätzliche Einsichten lieferten Interviews mit Akteuren aus der Jugendwahlarbeit in Wales, darunter Vertreter:innen der walisischen Regierung und des Parlaments, walisischer Jugendorganisationen, lokale Wahlleiter:innen und Jugendarbeiter:innen.
Die Ergebnisse zeigen, dass junge Menschen beim Wählen ab 16 in Wales mit einer Reihe von Hindernissen konfrontiert wurden, die ältere Wähler:innen so nicht erfuhren. So erwies sich etwa der Zeitpunkt der Wahl als nachteilig, da sich vor allem viele 16- und 17-Jährige zeitgleich mitten in den Abschlussprüfungen befanden. Auch für viele der Initiativen, die junge Menschen zum Wählen aufriefen, stellte das ein Problem dar. Schulen und Jugendeinrichtungen sowie junge Menschen hatten aufgrund der Prüfungsphase und der zusätzlichen Coronamaßnahmen wenig Kapazität, wahlspezifische Angebote anzunehmen und Maßnahmen der politischen Bildung durchzuführen. Des Weiteren haben es die politischen Parteien und auch ein großer Teil der Medienlandschaft in Wales versäumt, die jüngsten Wähler:innen auf eine Weise anzusprechen und auf die Wahl vorzubereiten, die für sie relevant ist.
Um in Wales zukünftig mehr junge Menschen zu mobilisieren, sich an den Wahlen zu beteiligen und ihre Stimme abzugeben, müssen diese Hindernisse, die die jungen Menschen von der Stimmabgabe abhalten, abgebaut werden. Zudem müssen die politischen Parteien direkt mit jungen Menschen in Kontakt treten, indem sie beispielsweise ihre Positionen direkt und altersgerecht an junge Menschen heranbringen. Auch ein vielfältigeres und jüngeres Spektrum an Kandidat:innen wünschten sich die jungen Teilnehmer:innen der Studie.
Die Ergebnisse der Untersuchung veranschaulichen insgesamt, dass die Umsetzung einer Wahlalterreform und die Mobilisierung junger Menschen über alle sozialen Schichten hinweg eine komplexe Aufgabe ist. Mit der Herabsenkung des Wahlalters allein ist noch nicht viel gewonnen. Um die politische Beteiligung junger Menschen langfristig zu erhöhen — sei es in Wales oder in Deutschland — müssen ergänzende Maßnahmen wie etwa eine rechtzeitige und systematische Unterstützung der Erstwähler:innen in jeder Phase des Wahlprozesses mit der Senkung des Wahlalters einhergehen. Diese Unterstützung muss sowohl gesetzlich vorgeschriebene politische Bildung in Schulen und Berufsschulen umfassen als auch außerschulische Möglichkeiten für junge Menschen, sich über politische Themen auszutauschen und eine politische Meinung zu bilden.
Nach enger Zusammenarbeit mit den Forschenden hat die walisische Regierung angekündigt, insbesondere junge Wähler:innen zur kommenden Kommunalwahl mit flexiblen und Vorab-Wahlmöglichkeiten in Schulen und Berufsschulen anzusprechen. Zudem sollen Investitionen in die politische Bildungsarbeit und Angebote zur Unterstützung junger Menschen bei der Eintragung in das Wahlregister intensiviert werden.
Der gesamte Forschungsbericht ist hier einsehbar und steht zum kostenlosen Download bereit.
Eine interaktive Infografik bietet Einblicke in die verschiedenen Etappen, die junge Menschen in Wales auf dem Weg zur Wahlurne durchlaufen und die Hindernisse, die 16- und 17-Jährige dabei bei dieser Wahl erlebten.