Seilbahn für Hamburg? — 5 Schritte zu erfolgreicher Bürgerbeteiligung


Von Chris­tine Hüb­n­er.

Hamburg Speicherstadt, 2013-06-08 Highflyer HP L4715" by Alchemist-hp (talk) - Own work. Licensed under CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Es zählt zu den außergewöhn­lichen humoris­tis­chen Fällen der son­st eher trock­eneren Recht­sprechung: die nord­deutsche Aus­prä­gung des Seil­bah­nge­set­zes. Auf Geheiß Brüs­sels erließ man in ganz Deutsch­land, auch in den Hans­es­tädten Bre­men und Ham­burg, im Jahr 2004 eine Verord­nung zum Bau und Betrieb von Seil­bah­nen. Hat man über das ham­bur­gis­che Seil­bah­nge­setz vor 10 Jahren noch geschmun­zelt, so wird es jet­zt vielle­icht hochrel­e­vant: Ein Kon­sor­tium aus Musi­calver­anstal­ter Stage Enter­tain­ment, Seil­bahn­bauer Dop­pel­mayr und Vertretern der Han­del­skam­mer und des Touris­musver­bands hat angekündigt, Ham­burg eine Seil­bah­n­querung der Elbe zu schenken. Ein­fach so. Für lau. Für 10 Jahre. Inklu­sive eventuellem Rück­bau. Und guten Gewis­sens, denn die Seil­bahn fährt geräuscharm und mit Ökostrom über die Elbe.

Das kön­nte nach einem Trau­mange­bot klin­gen, wenn einem als arg­wöh­nis­ch­er Bürg­er da nicht das Gefühl bliebe, dass irgen­det­was an der Sache komisch schmeckt. Trotz detail­liert­er Pla­nung bleibt es ein Rät­sel, woher die Idee zur Seil­bah­n­querung über­haupt stammt. Und welch­es verkehrspoli­tis­che Prob­lem sie genau lösen soll. Wer hat ein Inter­esse an so ein­er Seil­bahn? So richtig wussten das anscheinend auch die Mit­glieder des Ham­burg­er Sen­ats nicht, und gaben das Pro­jekt 2013 zur Abstim­mung an die Bezirksver­samm­lung Mitte.

Verkehrte Welt Bürgerentscheid

Statt nach Wut­bürg­er-Manier dage­gen zu wet­tern, reicht­en Bürg­er in diesem Fall Unter­schriften FÜR das Seil­bah­n­pro­jekt ein: 14.744 Unter­schriften - gut 9.000 mehr als die für ein Begehren auf Bezirk­sebene notwendi­gen 5.685 Unter­schriften — sam­melte das Bürg­er­begehren “Ham­burg­er Seil­bahn — Ich bin dafür”. In der so her­beige­führten Abstim­mung in der Bezirksver­samm­lung sprachen sich die Abge­ord­neten von SPD, Grü­nen, der LINKEN und der FDP in der Mehrheit gegen das Seil­bahn-Pro­jekt aus; nur wenige Mit­glieder der CDU und der AfD waren dafür. Das Patt zwis­chen Bezirksver­samm­lung und Ini­tia­tivnehmern erzwingt jet­zt eine Entschei­dung per Bürg­er­entscheid. Hierzu sind am Son­ntag, den 24. August gut 200.000 Wahlberechtigte aufge­fordert, für oder gegen das Pro­jekt zu stim­men. Das Inter­esse scheint groß: Per Briefwahl haben bere­its mehr als 40.000 Bürg­er — gut 20% — ihre Stimme abgegeben.

Auf dem Weg in die direk­te Demokratie

Ham­burg macht mit solchen Ini­tia­tiv­en in den ver­gan­genen Jahren immer wieder Schlagzeilen als “Kali­fornien Deutsch­lands”: Im Laufe der Jahre haben die Bürg­er der Hans­es­tadt ein Wahlrecht mit Ansätzen direk­ter Demokratie erzwun­gen — auch unter der Fed­er­führung vom lokal ansäs­si­gen Vere­in Mehr Demokratie e.V. Auf diesem Weg hat man in der Hans­es­tadt so einiges über erfol­gre­iche Bürg­er­beteili­gung gelernt:

  • Bürg­er­in­for­ma­tion ist der Schlüs­sel: Zum Seil­bah­nentscheid gab es eine auf Recy­cling-Papi­er gedruck­te Hauswurf­sendung der Stadt, in der gle­ichzeit­ig sowohl die Posi­tio­nen der Seil­bahn­be­für­worter und — nach Umdrehen des Pam­phlets — die der Seil­bah­ngeg­n­er dargelegt wurde. Jede Partei im Ham­burg­er Sen­at durfte darüber­hin­aus eine Stel­lung­nahme abgeben — alle Ansicht­en waren somit vertreten.
  • Bedin­gun­gen der Umset­zung trans­par­ent fes­tle­gen: Die Entschei­dung vom 24. August ist nach ein­fach­er Mehrheit bindend — zumin­d­est zu größten Teilen. Stim­men die Bürg­er für die Seil­bahn, so wird ein Plan­fest­stel­lungsver­fahren ein­geleit­et; wenn nicht, dann nicht. Es ist uner­lässlich, dass Bürg­er darüber Bescheid wis­sen, welche Reich­weite ihre Entschei­dung hat und wie bindend sie sein wird. Im Ham­burg­er Fall kann die Seil­bahn nach ein­er pos­i­tiv­en Entschei­dung am 24. August nur noch durch Kla­gen oder Nonkon­for­mitäten im Ver­fahren gestoppt wer­den.
  • Loca­tion, loca­tion, loca­tion: Entschei­dun­gen müssen auf der für sie rel­e­van­ten lokalen Ebene von betrof­fe­nen Bürg­ern getrof­fen wer­den. Es nützt nichts, eine ganze Stadt über eine verkehrspoli­tis­che Entschei­dung zur Abstim­mung aufzu­fordern, von der nur wenige tat­säch­lich betrof­fen sind. Das hat man zumin­d­est teil­weise beim Ham­burg­er Sen­at ver­standen, als man das Pro­jekt an die Bezirksver­samm­lung Mitte übertrug.

Kern­fra­gen der direk­ten Bürgerbeteiligung

Neben diesen Hoff­nungss­chim­mern für gute Bürg­er­beteili­gung bleiben andere, in meinem Beitrag “Bürg­er­beteili­gung ein­fach gemacht. Aber nicht ein­fach­er als es ist” vom 4. Juli 2012 dargelegte Kern­fra­gen im Kon­text der Ham­burg­er Seil­bahn unbeantwortet:

  • Wer ist eigentlich betroffen? 

Wie im Fall der Entschei­dung zur zusät­zlichen Lan­de­bahn am Münch­en­er Flughafen, kann man sich auch in Ham­burg fra­gen, warum die Bewohn­er Mittes über die Seil­bahn abstim­men, aber nicht der Rest der Stadt­bevölkerung. Es bleibt Speku­la­tion, ob der Ham­burg­er Sen­at die Entschei­dung über das Ange­bot des Touris­muskon­sor­tiums mit der Inten­tion der direk­ten Bürg­er­beteili­gung in die Hände der Bezirksver­samm­lung Mitte gab, oder ein­fach nur eine Kon­tro­verse weniger abhan­deln wollte. Mit Aus­nahme der direkt betrof­fe­nen Stadt­teile St.Pauli, Neustadt und Stein­werder, hat man in St. Georg oder Bill­st­edt sich­er nicht weniger oder mehr eine Mei­n­ung zur Seil­bah­n­prob­lematik als in Altona oder Eimsbüttel.

  • Welch­es Prob­lem wird gelöst?

Um definieren zu kön­nen, wer an ein­er Entschei­dung direkt beteiligt wer­den muss und wer nicht, gilt es das Prob­lem zu definieren. Bürg­er brauchen auch für die eigene Entschei­dungs­find­ung eine klare Prob­lem­lage. Auf­grund der Merk­würdigkeit des Ange­bots ‚Seil­bahn‘ fällt das im Ham­burg­er Fall reich­lich schw­er: sie ist eine wirtschaftliche Kalku­la­tion von Musi­calver­anstal­ter und Seil­bahn­bauer. Möglicher­weise gibt es nicht mal ein verkehrspoli­tis­ches Prob­lem, das die Seil­bahn konkret löst, denn die Querung der Elbe schaf­fen momen­tan auch Elbfähren und die S‑Bahn.

  • Was sind mögliche Alternativen?

Ist das Prob­lem eines Bürg­er­entschei­ds erst­mal klar, sollte es auch nicht schw­er­fall­en, die Alter­na­tiv­en aufzuzeigen. Für die abstim­menden Bürg­er ist es uner­lässlich zu wis­sen, welche Lösun­gen sie mit ihrem ‚Nein‘ impliz­it in Betra­cht ziehen kön­nten. Die heutige Lösung ist eine echt ham­bur­gis­che Barkassen­fahrt; auch die S‑Bahn schafft den Sprung über die Elbe, wenn auch mehr schlecht als recht.

In der Zukun­ft kön­nte ein Aus­bau der Bah­nan­bindung des Ham­burg­er Südens Seil­bahnal­ter­na­tive wer­den. Auch andere denkbare Pläne in luftiger Höhe gilt es zu kom­mu­nizieren. So haben sich das Architek­turstu­den­ten aus Ham­burg gedacht, die kurz­er­hand einen Plan für eine län­gere Seil­bahn bis nach Har­burg vor­legten. In den schick­en Mar­ket­ing-Broschüren der Ini­tia­tive wird hierüber kein Wort verloren.

5 Schritte zu erfol­gre­ich­er Bürgerbeteiligung

Die Ironie an der Ham­burg­er Seil­bah­ngeschichte liegt im Abhal­ten eines Bürg­er­entschei­ds selb­st. Hier wird für ein von einem Wirtschaft­skon­sor­tium an die Stadt herange­tra­genes Ange­bot ein Ele­ment der direk­ten Demokratie instru­men­tal­isiert. Bis zum Sam­meln von Unter­schriften hat­ten die Bürg­er mit dem Ange­bot von Stage Enter­tain­ment und Dop­pel­mayr wenig zu tun. Wed­er gab es jemals ein die Bürg­er Ham­burgs betr­e­f­fend­es Prob­lem, das die Seil­bahn konkret löst, noch einen Bürg­er­dia­log, um die betrof­fe­nen Ham­burg­er früh in die Pla­nung und Lösung des ver­meintlichen Prob­lems einzu­binden. Dies allerd­ings sind notwendi­ge Bedin­gun­gen der direk­ten Bürg­er­beteili­gung. Eini­gen aus­gewählten Ham­burg­ern eine fest­ste­hende Entschei­dung zur Abstim­mung vorzule­gen, ist für sich gese­hen kein Zeichen eines aus­giebi­gen Bürgerdialogs.

Stattdessen soll­ten Bürg­er selb­st das Heft in die Hand nehmen kön­nen und das von Anfang an: Das Ver­ständ­nis unter den Bürg­ern für ein Prob­lem sowie die Beteili­gung an sein­er Lösung wird größer, je mehr Bürg­er sich ern­sthaft einge­bun­den und gefragt fühlen. Das muss auch eine Ini­tia­tive wie die um die Seil­bah­nentschei­dung zulassen. Für einen guten Bürg­er­dia­log gilt es:

  1. Prob­leme gemein­sam mit Bürg­ern zu erörtern,
  2. Inter­essen trans­par­ent deut­lich zu machen,
  3. alter­na­tive Lösungvorschläge gemein­sam zu generieren,
  4. das Für und Wider ein­er gewählten Alter­na­tive gemein­sam aufzudeck­en, und
  5. einen gemein­sam entwick­el­ten Lösungsvorschlag zur Abstim­mung vorzulegen.

Um ähn­lich iro­nis­che Schick­sale wie die des Ham­burg­er Seil­bah­nentschei­ds in Zukun­ft zu ver­mei­den, gilt es auch, diese Rah­menbe­din­gun­gen und Prozesse für direk­te Bürg­er­beteili­gung geset­zlich und in Best Prac­tices ein­deutig zu verankern.

Chris­tine Hüb­n­er ist Part­ner­in bei d|part.

Dis­claimer

Die in diesem Artikel geäußerten Ansicht­en und Mei­n­un­gen entsprechen denen der Autorin.

Bild: “2013-06-08 High­fly­er HP L4715″ by Alchemist-hp (talk) — Own work. Licensed under Cre­ative Commons.

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