Seilbahn für Hamburg? — 5 Schritte zu erfolgreicher Bürgerbeteiligung
Von Christine Hübner.
Es zählt zu den außergewöhnlichen humoristischen Fällen der sonst eher trockeneren Rechtsprechung: die norddeutsche Ausprägung des Seilbahngesetzes. Auf Geheiß Brüssels erließ man in ganz Deutschland, auch in den Hansestädten Bremen und Hamburg, im Jahr 2004 eine Verordnung zum Bau und Betrieb von Seilbahnen. Hat man über das hamburgische Seilbahngesetz vor 10 Jahren noch geschmunzelt, so wird es jetzt vielleicht hochrelevant: Ein Konsortium aus Musicalveranstalter Stage Entertainment, Seilbahnbauer Doppelmayr und Vertretern der Handelskammer und des Tourismusverbands hat angekündigt, Hamburg eine Seilbahnquerung der Elbe zu schenken. Einfach so. Für lau. Für 10 Jahre. Inklusive eventuellem Rückbau. Und guten Gewissens, denn die Seilbahn fährt geräuscharm und mit Ökostrom über die Elbe.
Das könnte nach einem Traumangebot klingen, wenn einem als argwöhnischer Bürger da nicht das Gefühl bliebe, dass irgendetwas an der Sache komisch schmeckt. Trotz detaillierter Planung bleibt es ein Rätsel, woher die Idee zur Seilbahnquerung überhaupt stammt. Und welches verkehrspolitische Problem sie genau lösen soll. Wer hat ein Interesse an so einer Seilbahn? So richtig wussten das anscheinend auch die Mitglieder des Hamburger Senats nicht, und gaben das Projekt 2013 zur Abstimmung an die Bezirksversammlung Mitte.
Verkehrte Welt Bürgerentscheid
Statt nach Wutbürger-Manier dagegen zu wettern, reichten Bürger in diesem Fall Unterschriften FÜR das Seilbahnprojekt ein: 14.744 Unterschriften - gut 9.000 mehr als die für ein Begehren auf Bezirksebene notwendigen 5.685 Unterschriften — sammelte das Bürgerbegehren “Hamburger Seilbahn — Ich bin dafür”. In der so herbeigeführten Abstimmung in der Bezirksversammlung sprachen sich die Abgeordneten von SPD, Grünen, der LINKEN und der FDP in der Mehrheit gegen das Seilbahn-Projekt aus; nur wenige Mitglieder der CDU und der AfD waren dafür. Das Patt zwischen Bezirksversammlung und Initiativnehmern erzwingt jetzt eine Entscheidung per Bürgerentscheid. Hierzu sind am Sonntag, den 24. August gut 200.000 Wahlberechtigte aufgefordert, für oder gegen das Projekt zu stimmen. Das Interesse scheint groß: Per Briefwahl haben bereits mehr als 40.000 Bürger — gut 20% — ihre Stimme abgegeben.
Auf dem Weg in die direkte Demokratie
Hamburg macht mit solchen Initiativen in den vergangenen Jahren immer wieder Schlagzeilen als “Kalifornien Deutschlands”: Im Laufe der Jahre haben die Bürger der Hansestadt ein Wahlrecht mit Ansätzen direkter Demokratie erzwungen — auch unter der Federführung vom lokal ansässigen Verein Mehr Demokratie e.V. Auf diesem Weg hat man in der Hansestadt so einiges über erfolgreiche Bürgerbeteiligung gelernt:
- Bürgerinformation ist der Schlüssel: Zum Seilbahnentscheid gab es eine auf Recycling-Papier gedruckte Hauswurfsendung der Stadt, in der gleichzeitig sowohl die Positionen der Seilbahnbefürworter und — nach Umdrehen des Pamphlets — die der Seilbahngegner dargelegt wurde. Jede Partei im Hamburger Senat durfte darüberhinaus eine Stellungnahme abgeben — alle Ansichten waren somit vertreten.
- Bedingungen der Umsetzung transparent festlegen: Die Entscheidung vom 24. August ist nach einfacher Mehrheit bindend — zumindest zu größten Teilen. Stimmen die Bürger für die Seilbahn, so wird ein Planfeststellungsverfahren eingeleitet; wenn nicht, dann nicht. Es ist unerlässlich, dass Bürger darüber Bescheid wissen, welche Reichweite ihre Entscheidung hat und wie bindend sie sein wird. Im Hamburger Fall kann die Seilbahn nach einer positiven Entscheidung am 24. August nur noch durch Klagen oder Nonkonformitäten im Verfahren gestoppt werden.
- Location, location, location: Entscheidungen müssen auf der für sie relevanten lokalen Ebene von betroffenen Bürgern getroffen werden. Es nützt nichts, eine ganze Stadt über eine verkehrspolitische Entscheidung zur Abstimmung aufzufordern, von der nur wenige tatsächlich betroffen sind. Das hat man zumindest teilweise beim Hamburger Senat verstanden, als man das Projekt an die Bezirksversammlung Mitte übertrug.
Kernfragen der direkten Bürgerbeteiligung
Neben diesen Hoffnungsschimmern für gute Bürgerbeteiligung bleiben andere, in meinem Beitrag “Bürgerbeteiligung einfach gemacht. Aber nicht einfacher als es ist” vom 4. Juli 2012 dargelegte Kernfragen im Kontext der Hamburger Seilbahn unbeantwortet:
- Wer ist eigentlich betroffen?
Wie im Fall der Entscheidung zur zusätzlichen Landebahn am Münchener Flughafen, kann man sich auch in Hamburg fragen, warum die Bewohner Mittes über die Seilbahn abstimmen, aber nicht der Rest der Stadtbevölkerung. Es bleibt Spekulation, ob der Hamburger Senat die Entscheidung über das Angebot des Tourismuskonsortiums mit der Intention der direkten Bürgerbeteiligung in die Hände der Bezirksversammlung Mitte gab, oder einfach nur eine Kontroverse weniger abhandeln wollte. Mit Ausnahme der direkt betroffenen Stadtteile St.Pauli, Neustadt und Steinwerder, hat man in St. Georg oder Billstedt sicher nicht weniger oder mehr eine Meinung zur Seilbahnproblematik als in Altona oder Eimsbüttel.
- Welches Problem wird gelöst?
Um definieren zu können, wer an einer Entscheidung direkt beteiligt werden muss und wer nicht, gilt es das Problem zu definieren. Bürger brauchen auch für die eigene Entscheidungsfindung eine klare Problemlage. Aufgrund der Merkwürdigkeit des Angebots ‚Seilbahn‘ fällt das im Hamburger Fall reichlich schwer: sie ist eine wirtschaftliche Kalkulation von Musicalveranstalter und Seilbahnbauer. Möglicherweise gibt es nicht mal ein verkehrspolitisches Problem, das die Seilbahn konkret löst, denn die Querung der Elbe schaffen momentan auch Elbfähren und die S‑Bahn.
- Was sind mögliche Alternativen?
Ist das Problem eines Bürgerentscheids erstmal klar, sollte es auch nicht schwerfallen, die Alternativen aufzuzeigen. Für die abstimmenden Bürger ist es unerlässlich zu wissen, welche Lösungen sie mit ihrem ‚Nein‘ implizit in Betracht ziehen könnten. Die heutige Lösung ist eine echt hamburgische Barkassenfahrt; auch die S‑Bahn schafft den Sprung über die Elbe, wenn auch mehr schlecht als recht.
In der Zukunft könnte ein Ausbau der Bahnanbindung des Hamburger Südens Seilbahnalternative werden. Auch andere denkbare Pläne in luftiger Höhe gilt es zu kommunizieren. So haben sich das Architekturstudenten aus Hamburg gedacht, die kurzerhand einen Plan für eine längere Seilbahn bis nach Harburg vorlegten. In den schicken Marketing-Broschüren der Initiative wird hierüber kein Wort verloren.
5 Schritte zu erfolgreicher Bürgerbeteiligung
Die Ironie an der Hamburger Seilbahngeschichte liegt im Abhalten eines Bürgerentscheids selbst. Hier wird für ein von einem Wirtschaftskonsortium an die Stadt herangetragenes Angebot ein Element der direkten Demokratie instrumentalisiert. Bis zum Sammeln von Unterschriften hatten die Bürger mit dem Angebot von Stage Entertainment und Doppelmayr wenig zu tun. Weder gab es jemals ein die Bürger Hamburgs betreffendes Problem, das die Seilbahn konkret löst, noch einen Bürgerdialog, um die betroffenen Hamburger früh in die Planung und Lösung des vermeintlichen Problems einzubinden. Dies allerdings sind notwendige Bedingungen der direkten Bürgerbeteiligung. Einigen ausgewählten Hamburgern eine feststehende Entscheidung zur Abstimmung vorzulegen, ist für sich gesehen kein Zeichen eines ausgiebigen Bürgerdialogs.
Stattdessen sollten Bürger selbst das Heft in die Hand nehmen können und das von Anfang an: Das Verständnis unter den Bürgern für ein Problem sowie die Beteiligung an seiner Lösung wird größer, je mehr Bürger sich ernsthaft eingebunden und gefragt fühlen. Das muss auch eine Initiative wie die um die Seilbahnentscheidung zulassen. Für einen guten Bürgerdialog gilt es:
- Probleme gemeinsam mit Bürgern zu erörtern,
- Interessen transparent deutlich zu machen,
- alternative Lösungvorschläge gemeinsam zu generieren,
- das Für und Wider einer gewählten Alternative gemeinsam aufzudecken, und
- einen gemeinsam entwickelten Lösungsvorschlag zur Abstimmung vorzulegen.
Um ähnlich ironische Schicksale wie die des Hamburger Seilbahnentscheids in Zukunft zu vermeiden, gilt es auch, diese Rahmenbedingungen und Prozesse für direkte Bürgerbeteiligung gesetzlich und in Best Practices eindeutig zu verankern.
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Christine Hübner ist Partnerin bei d|part.
Disclaimer
Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten und Meinungen entsprechen denen der Autorin.
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Bild: “2013-06-08 Highflyer HP L4715″ by Alchemist-hp (talk) — Own work. Licensed under Creative Commons.