Über das Verhältnis von Transparenz und Vertrauen in der Politik
Von Christine Hübner.
Mehr Transparenz auf dem Finanzmarkt, mehr Transparenz bei Organspenden, mehr Transparenz bei der Energieversorgung. Im Gegensatz zur Wirtschaft haben Forderungen nach mehr Transparenz derzeit Hochkonjunktur. In einer zu Jahresbeginn 2012 von TNS Emnid und dem Arbeitskreis Open Government unter 1007 Deutschen durchgeführten Umfrage wünschen sich 61% der Befragten eine offenere Gestaltung von Politik und Verwaltung. Bürgerinitiativen in Hamburg und Berlin streiten gar um eine gesetzesmäßig verankerte Informationspflicht der Politik – ein Transparenzgesetz. Klar, dass die Politik da in keinem Fall zurückstecken möchte. Forderungen nach politischer Transparenz – das heißt nach durchsichtigen politischen Prozessen, nachvollziehbaren politischen Entscheidungen und nach freiem Zugang zu Information – häufen sich. Nicht nur die Piratenpartei oder die Occupy-Bewegung, auch Initiativen wie Abgeordnetenwatch oder OpenGovernment tragen wesentlich zum Transparenz-Hype in Deutschlands Politik bei.
Gute Nachrichten zuerst
Im Gegensatz zu anderen Hypes scheint der Transparenz-Buzz an den Politikern nicht ungehört vorüber zu gehen. Kaum ein Abgeordneter mehr, der nicht bei Twitter über das alltägliche Befinden zwitschert oder eine eigene Facebook-Seite betreibt: Dem „Social Media Activity Index 2011“ errechnet vom Institut für Medien und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen nach präsentieren zwei Drittel der Bundestagsabgeordneten sich und ihre politische Arbeit einfach zugänglich auf eigenen Profilen im sozialen Web. Und um auch alle Facebook-Muffel anzuregen, soll die Kanzlerin höchstpersönlich alle 620 MdBs zu einer Weiterbildung in Sachen soziale Medien verpflichtet haben. Im Gegensatz zur neuen Zwei-Wege-Kommunikation zeugen auch eher altmodisch anmutende Initiativen wie der jährlich im Sommer veranstaltete Tag der offenen Tür der Bundesregierung von einem Willen der Politiker zu mehr Durchschaubarkeit. Der offenkundig belohnt wird: Rund 130.000 interessierte Bürger nahmen trotz Rekordhitze in Deutschland die Einladung der Kanzlerin und ihres Kabinetts zum Staatsbesuch an.
So scheint es zunächst, als hätten Bürger und Politiker ein eindeutiges Verständnis von Transparenz im politischen System: Sie ist ein essentieller Bestandteil demokratischer Kultur. Seit der Antike beruhen eine demokratische Grundeinstellung, freie Willensbildung und fundierte Wahlentscheidungen auf einer ausgewogenen Informationslage. Informationen zum politischen Geschehen ermöglichen es dem Bürger, Politik zu beurteilen, Verbesserungsvorschläge zu formulieren, und Missstände oder gar Machtmissbrauch aufzudecken. Sie müssen von den Bürgern eingefordert und von Politikschaffenden geliefert werden.
Das Verhältnis von bedingungsloser Transparenz und Vertrauen
Beim genaueren Hinsehen allerdings zeigt sich, dass Interessenvertreter und Politiker zugleich weit an den wirklichen Bedürfnissen der Bürger vorbei twittern. Und damit sind nicht allein politisch aussagekräftige Nachrichten wie diese gemeint:
„Mariechen ist abgefüttert, der Kaffee ist da, also kann’s losgehen :-))”
(Sigmar Gabriel auf Twitter am 27. Juli 2012).
In der aktuellen Debatte um mehr Transparenz scheint auch immer die Hoffnung durch, dass ein reines Mehr an Informationen unser angekratztes Vertrauen in die repräsentative Demokratie wiederherstellen kann. Dass allein durch mehr Durchschaubarkeit im politischen Prozess den Bürgern das Gefühl zurückgegeben werden kann, sie spielten eine maßgebliche Rolle im politischen Prozess. Diese Hoffnung aber kann allein durch Informationsoffenlegung nicht bedient werden. Einfach nachzuvollziehen ist das, wenn man sich vorstellt, was zum Beispiel die gnadenlose Veröffentlichung sämtlicher politischer Notizen für jeden Einzelnen von uns bedeutet: einen Informationsüberfluss, den wir überhaupt nicht greifbar machen können. Das kann für bürgerscheue Politiker im besten Fall sogar hilfreich und zeitschindend sein, so geschehen im vergangenen Winter während der Affäre um den Ex-Bundespräsidenten Wulff. Der Fall Wulff macht auch anschaulich, warum mehr Information nicht gleichbedeutend mit mehr Wissen und einer verbesserten Urteilsfähigkeit ist.
Stattdessen führt die Veröffentlichung sämtlicher Informationen im schlimmsten Fall zu einem Kontrollzwang unter den Bürgern – zum unangenehmen Gefühl von Überforderung und gleichzeitigem Hintergangen Werden. Ein Umgang mit Politik auf der Basis von Vertrauen sieht anders aus. Der Philosoph und Medienwissenschaftler Byung-Chul Han geht sogar soweit und prangert die Transparenzgesellschaft als solche an:
„Vertrauen heißt, trotz Nichtwissen gegenüber dem anderen eine positive Beziehung zu ihm aufzubauen.“
Wo jedoch vollständige Transparenz herrsche, sei „kein Raum für das Vertrauen.“
Formen von Transparenz als Quelle für Vertrauen
Wie so oft liegt die Lösung des Transparenzdilemmas wahrscheinlich irgendwo in der Mitte von vollständiger Durchsichtigkeit und über-optimistischem Vertrauen in die Politik. Die Notwendigkeit von der Durchschaubarkeit des politischen Prozess mit der Verdaulichkeit von Informationen zu verbinden, muss das Ziel sein. Ja, Bürger müssen Transparenz einfordern – aber nicht als bedingungslose Offenlegung ungefilterter Informationen, sondern vielmehr als Vermittlung einer bürgernahen und greifbaren Politik. Und die Politik muss liefern: Dass man die Sprache der Konsumenten sprechen muss, um sie zu erreichen, lernt jeder Student in Marketing 101. Warum nicht also auch mal mit den (gut erprobten) Mitteln anderer kämpfen? Es mag auf den ersten Blick noch merkwürdig anmuten, dass die Bundesregierung Steuergelder für die medienwirksame Veranschaulichung des Bundeshaushalts oder eine groß angelegte Kampagne zur Vermittlung ihrer Demographiestrategie ausgibt. Dennoch tragen diese Maßnahmen wahrscheinlich mehr zu einem Verständnis für Politik und ihre Strategien bei als jede Twitternachricht, da sie den Bürger in den Mittelpunkt rücken und nicht Politiker im fernen Berlin.
Transparenz ist und bleibt essentieller Bestandteil eines demokratischen Grundverständnisses. Sie muss aber unbedingt als einfache Durchschaubarkeit, als Greifbarkeit von Informationen verstanden werden. Bürger und Politiker müssen die gleiche Sprache sprechen – dazu gehört politische Bildung ebenso wie Transparenz. Wichtiger als die reine Offenlegung aller Informationen ist, dass Bürger Informationen einfordern und Politikschaffende sich als zugänglich und durchschaubar präsentieren. Nur dann funktioniert Politik als echte Zwei-Wege Kommunikation.
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Christine Hübner ist Partnerin bei d|part.
Disclaimer
Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten und Meinungen entsprechen denen der Autorin.