Der (un-)demokratische Populismus neuer Parteien


von Anne Hey­er.

Auf­takt unser­er Blogserie: Die neuen pop­ulis­tis­chen Parteien Europas?

Europas neues Gespenst

Ein Gespenst geht um in Europa. Aber dieses Mal ist es nicht das alte Gespenst der kom­mu­nis­tis­chen Partei von Karl Marx, das durch die damals noch ziem­lich jun­gen Nation­al­staat­en Europas spuk­te. Aktuell sind es eine ganze Rei­he von neuen Parteien­grün­dun­gen, die die inzwis­chen ziem­lich etablierten Demokra­tien der Europäis­chen Union schw­er verunsichern.

Seit eini­gen Jahrzehn­ten ver­set­zen diese neuen pop­ulis­tis­chen Parteien den poli­tis­chen Betrieb in Unsicher­heit und haben die poli­tis­che Land­schaft deut­lich verän­dert. Vom Front Nation­al in Frankre­ich, der öster­re­ichis­chen FPÖ, dem bel­gis­chen Vlaams Blok über die skan­di­navis­chen Organ­i­sa­tio­nen der dänis­chen Fortschrittspartei oder den Schwe­den­demokrat­en bis hin zur pol­nis­chen PiS oder der ungarischen Fides scheint es eine Erstarkung rechts-pop­ulis­tis­ch­er Parteien in Europa zu geben. In diesem Kon­text argu­men­tieren einige Poli­tik­wis­senschaftler, dass sich viele dieser Parteien in einem gemein­samen europäis­chen Kon­text gegrün­det und als Stimme der­jeni­gen etabliert haben, die nicht durch die post­mod­er­nen Werte der linken neuen sozialen Bewe­gun­gen aufge­fan­gen wer­den kon­nten.[1]

Allerd­ings haben auch neue Parteien wie Syriza und Podemos von der linken Seite des poli­tis­chen Spek­trums die Par­la­mente im Süden der EU erobert. Selb­st Deutsch­land, das eigentlich rel­a­tiv immun gegen pop­ulis­tis­che Parteien zu sein schien, hat mit der AfD einen neuen Akteur, der deut­lich pop­ulis­tis­che Rhetorik rechts von der CDU (und selb­st der CSU) in der momen­ta­nen Flüchtlings­de­bat­te gebraucht.

Blogserie: Die neuen pop­ulis­tis­chen Parteien Europas

Inzwis­chen sind diese vie­len unter­schiedlichen pop­ulis­tis­chen Parteien rel­a­tiv erfol­gre­ich in ihrer Bee­in­flus­sung des poli­tis­chen Diskurs­es und set­zen die etablierten poli­tis­chen Repräsen­tan­ten unter Druck. Diese Erfol­gswelle kann allerd­ings auch dur­chaus dif­feren­ziert­er bew­ertet wer­den (siehe z.B. hier). Was ist also dran, an diesem neuen pop­ulis­tis­chen Gespenst, dass in so vie­len europäis­chen Län­der spukt?  Einige Kom­men­ta­toren scheinen zu denken, dass es sich hier um eine ern­sthafte Bedro­hung der repräsen­ta­tiv­en Insti­tu­tio­nen in europäis­chen Demokra­tien han­delt. Andere wiederum rufen den Anfang ein­er direk­teren oder delib­er­a­tiv­en Demokratie aus. Zwis­chen diesen gegen­sät­zlichen Posi­tio­nen aus ver­schiede­nen poli­tis­chen Lagern ist eine dif­feren­zierte Einord­nung pop­ulis­tis­ch­er Parteien im nationalen sowie im europäis­chen Kon­text schwierig, aber auch umso drin­gen­der notwendig!

In den fol­gen­den Monat­en wer­den wir uns hier auf dem d|part Blog genau dieser Her­aus­forderung stellen: Wir wer­den das Phänomen neuer pop­ulis­tis­ch­er Parteien anhand ein­er Serie von Blog­beiträ­gen unter­suchen. Dabei wer­den wir nationale Experten bit­ten, einige pop­ulis­tis­che Parteien einzeln und als Teil eines gesam­teu­ropäis­chen Phänomens zu betra­cht­en. Ziel der gesamten Blogserie ist die dif­feren­zierte Auseinan­der­set­zung mit ein­er Entwick­lung in Europa, die uns derzeit inten­siv beschäftigt. Anhand der indi­vidu­ellen Analyse von Experten wollen wir ver­schiedene Per­spek­tiv­en auf ein gesam­teu­ropäis­ches Phänomen bieten.

In ihrer Gesamtheit als Serie wer­den die Beiträge ver­schiedene Stand­punk­te beleucht­en und dadurch einen einzi­gar­ti­gen Ver­gle­ich von ein­er span­nen­den, kom­plex­en und hochak­tuellen Entwick­lung bieten, die nicht nur im deutschen, son­dern auch im europäis­chen Aus­land aus­giebig disku­tiert wird. Auch wenn einige Kom­men­ta­toren in den Medi­en Par­al­le­len ziehen zwis­chen diesen Parteien, ver­suchen wir mit dieser Blogserie noch etwas bess­er hinzuschauen, um die Gemein­samkeit­en und Unter­schiede zwis­chen diesen Parteien zu ergründen.

Dem Volk aufs Maul schauen

Diese dif­feren­zierte Mei­n­ung­sum­schau bietet eine Alter­na­tive zu der oft doch recht ein­seit­i­gen Berichter­stat­tung über diese Parteien. Vor allem diejeni­gen, die mit den herkömm­lichen Parteien an ihre poli­tis­chen Ämter und Posi­tio­nen gekom­men sind, scheinen wenige wirk­lich gute Antworten auf dieses neue Phänomen zu haben. Wenn zu neuen pop­ulis­tis­chen Parteien befragt, kri­tisieren etablierte Parteipoli­tik­er und Medi­en diese oft als Organ­i­sa­tio­nen, die unschuldige Wäh­ler mit ihrer pop­ulis­tis­chen Rhetorik, ähn­lich wie der Rat­ten­fänger von Hameln, ein­fan­gen. Die Mit­glieder dieser Parteien seien dem­nach auch nicht unbe­d­ingt selb­st­ständig denk­ende Indi­viduen, son­dern schwach und „anfäl­lig für den neuen Pop­ulis­mus“.

In diesem Zusam­men­hang hat die Beze­ich­nung „pop­ulis­tisch“ immer auch eine aus­ge­sprochen neg­a­tive Bedeu­tung. Das ist ein biss­chen über­raschend, wenn man bedenkt, dass der Ursprung von pop­ulis­tisch ja immer­hin im lateinis­chen Wort „pop­u­lus“ liegt, das im all­ge­meinen Volk bedeutet. Gle­ichzeit­ig ist das Volk in der Demokratie immer noch die entschei­dende Legit­i­ma­tion­squelle. Demokratie kommt übri­gens auch vom griechis­chen Wort „demos“, das — Achtung: Über­raschung! — auch Volk bedeutet. Wenn man es also zuge­spitzt for­muliert und damit der Inter­pre­ta­tion der Mit­glieder dieser neuen pop­ulis­tis­chen Parteien fol­gt, dann machen die britis­che UKIP von Nigel Farage oder die griechis­che Syriza von Alex­is Tsipras genau das, was sie per Def­i­n­i­tion in ein­er Demokratie machen soll­ten: näm­lich dem Volk aufs Maul schauen. Eine Redewen­dung, die übri­gens auf eine Pas­sage des protes­tantis­chen Über­vaters Mar­tin Luther zurück geht.

Was genau ist Pop­ulis­mus und ist das gefährlich?

Was ist also dran am Gegen­satz zwis­chen den alten und den neuen Parteien? Zuallererst ist da natür­lich eine unter­schiedliche Chronolo­gie, die die Grün­dung der „alten“ Parteien his­torisch vor die der „neuen“ stellt. Wobei manche der neuen pop­ulis­tis­chen Parteien bere­its mehr als vier Jahrzehnte alt sind. So kann der Front Nation­al dieses Jahr seinen vierzig­sten Geburt­stag feiern. Des Weit­eren scheinen sich diese neuen Parteien auch in Form und Inhalt von ihren poli­tisch etablierten Fam­i­lien­mit­gliedern abzuset­zen. Radikale Forderun­gen nach ein­fachen poli­tis­chen Lösun­gen, die oft emo­tionale Ele­mente ein­beziehen und Volk und Poli­tik in direk­ter Demokratie verbinden wollen, wer­den als typ­is­che Merk­male für diese Parteien angesehen.

Für die neuen pop­ulis­tis­chen Parteien im recht­en Spek­trum gibt es zudem auch eine deut­liche Hin­wen­dung zu ein­er Vorstel­lung des Volkes, die auf bes­timmte kul­turelle Gemein­samkeit­en (im Gegen­satz zu früheren Obses­sio­nen mit eth­nis­chen Merk­malen) als Alle­in­stel­lungsmerk­mal set­zt.[2] Wenn eine der Säulen demokratis­ch­er Staat­en tatsächlich die Wider­spiegelung von plu­ral­is­tis­chen Inter­essen ist, ist das eine ern­sthaftes Prob­lem — nicht nur für die poli­tis­che Elite, son­dern auch für uns, die bre­ite Masse der demokratis­chen poli­tis­chen Gemeinschaft!

Mögliche Gemein­samkeit­en von pop­ulis­tis­chen Parteien

  • Posi­tion­ierung als die wahren Vertreter des Volks gegen die poli­tis­che (oft kor­rupte) Elite oder andere etablierte Akteure
  • Forderung von ein­fachen Lösun­gen für kom­plexe Probleme
  • Mis­strauen gegen und/oder Bekämp­fung der EU als poli­tis­ches Projekt

Trotz­dem stellt sich die Frage, ob Pop­ulis­mus an sich ein Prob­lem für demokratis­che Gesellschaften ist. Viele der etablierten Parteien greifen auf pop­ulis­tis­che Ele­mente zurück und damit beziehe ich mich nicht nur auf den Chefvolk­stri­bunen der CSU, Horst See­hofer. Auch die „klaren“ Ansagen von Sig­mar Gabriel (für eine unter­halt­same Samm­lung siehe hier) oder die Wahlplakate der Grü­nen haben ein gewiss­es pop­ulis­tis­ches Ele­ment. In diesem Kon­text ver­weise ich auch auf meinen per­sön­lichen Favoriten: eine Bande von gefährlichen gen­ma­nip­ulierten Papri­ka aus der Wahlkam­pagne der öster­re­ichis­chen Grü­nen aus dem Jahre 2015. Einige Medi­en haben sich ger­ade auch aktuell in Bezug auf die AfD mit der Frage auseinan­derge­set­zt, wie weit sich etablierte deutsche Parteien von der AfD unter­schei­den (z.B. die Zeit und der Spiegel).

Übri­gens haben auch die frühen demokratis­chen Massen­parteien des 19. Jahrhun­derts mit Slo­gans vom Volk gegen die poli­tis­che Elite für sich gewor­ben. Es ist dann wahrschein­lich auch kein Zufall, dass die friedliche Rev­o­lu­tion in der DDR den Slo­gan „Wir Sind das Volk“ so erfol­gre­ich für sich einge­set­zt hat. In gewiss­er Weise, und das sagen auch einige Poli­tik­wis­senschaftler, kann Pop­ulis­mus ein wichtiges Stand­bein der Demokratie sein.[3] Diese emo­tionale, pop­ulis­tis­che Seite ist sozusagen das zweite Bein, das neben dem ersten Stand­bein, der ratio­nal über­legten und kom­pro­miss­bere­it­en Seite von Demokratie, ste­ht. In diesem Sinn mussten auch demokratis­che Staat­en eine Erfahrung machen, die nicht nur unter Marathon­läufern weit ver­bre­it­et ist: Laufen kann man am besten mit zwei Beinen!

Im Süden nichts Neues?

Diese zumin­d­est inter­es­sante Per­spek­tive kann man auch in ein­er Entwick­lung bestätigt sehen, die sich mehr im Süden des europäis­chen Kon­ti­nents abspielt. Wie bere­its erwäh­nt, sind neue pop­ulis­tis­che Parteien näm­lich nicht unbe­d­ingt nur auf den Dun­stkreis rechter Ide­olo­gien beschränkt. Wie die Parteien der griechis­chen Syriza und der spanis­chen Podemos zeigen, ist diese Entwick­lung zum Pop­ulis­mus nicht nur im recht­en, son­dern auch im linken Lager zu beobacht­en. Aber kann man diese südeu­ropäis­chen, linken Bewe­gungsparteien mit ihren recht­en Stief­brüdern ver­gle­ichen? Die Frage, die sich hier automa­tisch stellt, ist, was es genau ist, das diese neuen pop­ulis­tis­chen Parteien rechts und links der poli­tis­chen Mitte verbindet. Ist da mehr als die Beobach­tung, dass diese Parteien rel­a­tiv neu (und pop­ulis­tisch) sind? Zuge­spitzt kön­nte man auch fra­gen, inwieweit die neuen pop­ulis­tis­chen recht­en (und linken) Parteien Teil ein­er Bewe­gung sind oder doch Einzelkämpfer im nationalen Kon­text bleiben.

Eine Gemein­samkeit, die alle neuen pop­ulis­tis­chen Parteien in Europa verbindet, ist ihr Mis­strauen und/oder die Bekämp­fung von europäis­chem Ein­fluss auf die Poli­tik ihrer Nation­al­staat­en. Das neg­a­tive Bild von Brüs­sel verbindet das rechte mit dem linken Spek­trum und spielt eine prä­gende Rolle in der Grün­dungs­geschichte der meis­ten dieser Parteien. Es gibt also zumin­d­est einige Gemein­samkeit­en und Unter­schiede, die weit­ere Aufmerk­samkeit verdienen.

Mögliche Unter­schiede zwis­chen pop­ulis­tis­chen Parteien

  • Organ­i­sa­tions­form
  • Entste­hungs­geschichte, Umstände und Zeitpunkt
  • Posi­tion­ierung im poli­tis­chen links-rechts Spektrum

In den näch­sten Monat­en wer­den wir uns diesen Merk­malen anhand ein­er Blogserie nähren. Bis in die Som­mer­pause hinein wer­den wir im unregelmäßi­gen monatlichen Rhyth­mus einen Gast­beitrag zu ein­er neuen pop­ulis­tis­chen Partei veröf­fentlichen. Wir freuen uns auf Beiträge, die uns auf eine große Euro­pareise vom Süden mit der griechis­chen Syriza bis in den äußer­sten Nord­west­en zur Britis­chen UKIP und in den Osten nach Polen zur PiS mit­nehmen. Oft sind es nationale Experten, die uns über den Teller­rand schauen lassen und uns eine gemein­same europäis­che Per­spek­tive bieten wer­den. Auch wenn die Länge der Beiträge wahrschein­lich nicht mit der Länge der Tage zunehmen wird, kann ich Ihnen einen span­nen­den Früh­ling hier auf dem d|part Blog ankündi­gen. Es scheint, dass sich die Biosphäre der europäis­chen Demokra­tien in den näch­sten Monat­en und Jahren entschei­dend verän­dern wird. Mit dieser Blogserie stellen wir Ihnen eine neue Spezies vor, die Sie nicht ver­passen soll­ten. Als erstes wer­den wir uns in eini­gen Wochen der britis­chen UKIP zuwen­den und danach der pol­nis­chen PiS und der griechis­chen Syriza. Schauen Sie also wieder rein oder fol­gen Sie uns auf Twit­ter oder Face­book um zu lesen, welche Parteien wir noch ver­gle­ichen werden.

Anne Hey­er ist Affil­i­ate bei d|part.

Dis­claimer

Die in diesem Artikel geäußerten Ansicht­en und Mei­n­un­gen entsprechen denen der Autorin.

[1] P. Ignazi, “The Cri­sis of Par­ties and the Rise of New Polit­i­cal Par­ties,” Par­ty Pol­i­tics2, no. 4 (Octo­ber 1, 1996): 549–66.

[2] Jens Ryd­gren, “Is Extreme Right-Wing Pop­ulism Con­ta­gious? Explain­ing the Emer­gence of a New Par­ty Fam­i­ly,” Euro­pean Jour­nal of Polit­i­cal Research 44, no. 3 (2005): 413–37.

[3] Mar­garet Canovan, “Trust the Peo­ple!  Pop­ulism and the Two Faces of Democ­ra­cy,”Polit­i­cal Stud­ies 47, no. 1 (March 1999): 2.

Bild: ‘L’uo­mo con il mega­fono — The man with the mega­phone’ cour­tesy of Ango­lo Bian­co, released under Cre­ative Commons.

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