Die Flut hat die Grenzen nicht weggeschwemmt, oder doch?
Von Jan Liebnitzky.
In Bosnien hat die jüngste Flut ganze Landstriche verwüstet und die Entscheidungsträger sind nicht fähig, die Krise kompetent zu meistern. Ein Bericht über die Flutkatastrophe auf dem Balkan.
Bosnien und Herzegowina (BuH) wurde von der schwersten Flut seit jeher getroffen, mit noch nicht abzuschätzenden Schäden in Milliardenhöhe, vielen hunderten Toten und belastenden langanhaltenden wirtschaftlichen Folgen. Gut ein Drittel der Bevölkerung (circa 1 Million) des Balkanstaates ist betroffen. Kohleminen sind geflutet und damit die Energieversorgung für die nächsten Jahre fraglich; in den betroffenen Gebieten sind circa 80% der Agrarflächen unbrauchbar geworden, Straßen und Schienen sind zerstört.
Manche Mienenfelder, nicht entschärfte Relikte des Bosnienkrieges, sind durch die Schlammlawinen versetzt worden und somit noch gefährlicher. In Maglaj stand das Wasser über zwei Meter hoch. Was zurück bleibt ist Schlamm, nasser Hausrat und feuchte Wände. Das Trinkwasser ist verschmutzt und es gibt Epidemie Gefahr. Viele Menschen haben ihr ganzes Hab und Gut verloren und um die Häuser maschinell zu trocknen, fehlt ihnen das Geld. Knapp einen Monat nach der Flut wird klar, dass die Wirtschaft von BuH einen herben Rückschlag erlitten hat. Der Winter ist noch weit weg, aber es ist davon auszugehen, dass die bosnische Bevölkerung, mit einem Durchschnittseinkommen von knapp 300 € pro Monat, mit den erhöhten Strompreisen und Nahrungsmittelkosten zu kämpfen haben wird.
Politik und ihre Verantwortung
Klimatische und politische Gründe trugen dazu bei, dass die Katastrophe in ihrem ganzen Ausmaß stattfand. Zuerst einmal ist das Sturmtief Yvette daran schuld, dass in drei Tagen so viel Regen fällt wie normalerweise in drei Monaten. Das Wasser bahnt sich seinen Weg. Es kommt zu Erdrutschen, wo illegale Bebauung an Steilhängen einen natürlichen Abfluss des Wassers verhindert. Flüsse schwellen an und treten innerhalb von Minuten über unzulänglich befestigte Ufer. Das Wasser steigt so schnell, dass sich nicht alle Menschen in Sicherheit bringen können. Im Nachhinein wird klar, dass rund 90 % der Gelder, die für den Katastrophenschutz im Jahr 2013 geplant waren, zweckentfremdet wurden und stattdessen, z.B. für die Pensionen von Kriegsveteranen ausgegeben wurden. Es fehlte ein Warnsystem, welches die Bevölkerung über die Gefahr der anschwellenden Flüsse informieren hätte können. Die Truppen der EUFOR retteten die Menschen mit Helikoptern.
Doch nicht nur vor und während der Flut handelte die Politik weitestgehend unzureichend, auch bei der Organisation der Hilfsgüter und Freiwilligen macht sie keinen guten Eindruck. In der Stadt Maglaj und anderswo, wurde die Hilfe nicht zentral, sondern von Hilfsorganisationen jeweils, bzw. den zahlreichen Privatinitiativen selbst organisiert. Die Zivilgesellschaft ist weitestgehend auf sich allein gestellt. Gespendete Hilfsgüter, wie Schlafsäcke, Wasser und Lebensmittel wurden nach subjektiver Bedürftigkeit verteilt — ohne System. Auf diese Feststellung hin wurde mir erzählt, dass wenn Einzelpersonen Führerschaft beanspruchen, schnell der Vorwurf der politischen Vorteilnahme laut wird, um Wählerstimmen zu gewinnen. Vielleicht fehlen den hiesigen Politikerinnen und Politikern aber auch schlicht die nötigen Kapazitäten für ein effektives Krisenmanagement und die Motivation für die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft.
Fehlendes Vertrauen in etablierte Hilfsstrukturen
Es wurden viele private Spendensammlungen durchgeführt, die ihr Geld aber nicht etwa an das Rote Kreuz in BuH gaben, sondern selbstständig in Hilfsgüter umsetzten und diese zu den Flutopfern brachten. Zu groß scheint der Vorbehalt gegenüber etablierten nationalen Hilfsorganisationen zu sein und wie sie die Gelder verwenden würden. Internationale Hilfslieferungen durften teilweise die Grenzen aufgrund von Zoll- und Steuerbeschränkungen nicht passieren oder wurden von der Politik zurückgehalten. Die Bürokratie des Staates hat zu Verzögerungen bei der Hilfe beigetragen.
Nun werden dringend finanzielle Mittel für den Wiederaufbau benötigt. Denn Privatpersonen in BuH haben kein Erspartes, auf welches sie in solchen Situationen zurückgreifen können. Dem Staat fehlen dafür ebenfalls die Gelder. Die EU wird daher 65 Millionen Euro für den Wiederaufbau bereitstellen. Weitere Geldgeber könnten jedoch verunsichert sein, weil es keine Garantie für eine transparente Verwendung der Spenden gibt. Anfang Juni 2014 hat das nationale Parlament von BuH die Frist verpasst, das Gesetz gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu verabschieden. Die politische Unterstützung der Teilrepublik Bosnien „Republika Srpska“ für das Gesetz fehlte, weil man nicht mehr Macht an die Zentralregierung in Sarajevo geben will. Damit hat sich BuH in ein Land mit erhöhtem Risiko für finanzielle Transaktionen entwickelt. Die Leittragenden sind die Bürgerinnen und Bürger, denen die dringend benötigte Hilfe verwehrt bleibt.
Zusammenhalt in Krisenzeiten?
Normalerweise führen Krisenzeiten zu Zusammenhalt und gegenseitiger Unterstützung in der Gesellschaft. Das stimmte auch hier in BuH: wo ethnische Grenzen sonst jede Zusammenarbeit verhindern, halfen tausende Freiwillige beim Beseitigen der gröbsten Schäden. Doboj ist vorwiegend von bosnischen Serben bewohnt und wurde tatkräftig von der nahegelegenen Stadt Tesanj unterstützt, die in der Mehrheit von Muslimen bewohnt wird. Überall werden Spenden gesammelt, in den Supermärkten stehen extra Einkaufswagen für Lebensmittelspenden an die betroffenen Gemeinden. Die gegenseitige Hilfe und Anteilnahme machte vor den ethnischen Grenzen nicht halt.
Auf nationaler Ebene wurde sich die politische Führung der beiden Entitäten Föderation Bosnien und Herzegowina und Republika Srpska trotzdem nicht einig. Weder wollte die Republika Srpska Hilfsaktionen mit dem nationalen Krisenmanagement koordinieren, noch schafften es Politikerinnen und Politiker beider Seiten einen gemeinsamen Trauertag für die Opfer der Flut zu finden. Gerade die Republika Srpska vermeidet eine Stärkung des Zentralstaates um jeden Preis. Während also auf lokaler politischer Ebene und unter den Menschen die Flut zu Zusammenhalt, Anteilnahme und gegenseitiger Hilfe über die Grenzen der Entitäten hinweg führte, gab es auf nationaler Ebene die bekannten Ressentiments und Befindlichkeiten. Es bleibt zu hoffen, dass die Politik aus ihren Versäumnissen lernt und zumindest für den Katastrophenschutz in Zukunft die ethnischen Grabenkämpfe überwindet.
Zusammenfassung
Bosnien ist ein extremes Beispiel für das Versagen staatlicher Strukturen in der Katastrophenprävention und ihrem Management. Die Zivilgesellschaft ist weitestgehend auf sich alleingestellt und kann die Aufgaben, die eigentlich der Staat übernehmen sollte, kaum stemmen. Diese Situation zeigt, wie wichtig die stetige Analyse von Krisenmanagement ist, um z.B. das Zusammenspiel zwischen Politik und Zivilgesellschaft in der Krisenbewältigung und ihrer Prävention zu verbessern. Das Forschungsprojekt von dpart und regional im puls zum Elbehochwasser 2013 #howafo arbeitet genau an dieser Fragestellung.
Bosnien und Herzegowina ist ein kleines, bergiges Land in Südosteuropa. Der Vertrag von Dayton (1995) teilte BuH in zwei weitestgehend unabhängige Entitäten nach dem Krieg. Die Republika Srpska (RS) ist mehrheitlich von Serben bewohnt. Die Föderation Bosnien und Herzegowina hingegen bewohnen vor allem Bosniaken (bosnische Muslime) und Kroaten. Ein kleiner Distrikt um die Stadt Brčko besitzt Sonderstatus und wird von beiden Entitäten verwaltet. Der föderale Staatsaufbau, die schwache Zentralregierung, Korruption und die Politik entlang den Grenzen der verschiedenen Ethnien blockieren den Annäherungsprozess an die Europäische Union seit Jahren. Im Februar 2014 kam es in der Föderation BuH zu heftigen Regierungs- und Sozialprotesten. Einen Beitrag dazu gibt es hier.
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Jan Liebnitzky studiert Psychologie und Ökonomie an der TU Dresden und schreibt zurzeit seine Diplomarbeit zum Thema individueller Moralisierungsprozesse und Einstellungen bezüglich humanitärer Interventionen.
Disclaimer
Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten und Meinungen entsprechen denen des Autors.