Gewinner? Verlierer? Zweck? – Warum die TV-Debatte zwischen Alex Salmond und Alistair Darling keine Wähler bewegt hat


Von Jan Eich­horn

Image © Scottish Parliamentary Corporate Body – 2012. Licensed under the Open Scottish Parliament Licence v1.0.

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Let­zten Dien­stag (5. August) kon­nten wir einem Ereig­nis bei­wohnen, das ein High­light der Kam­pag­nen auf dem Weg zum schot­tis­chen Unab­hängigkeit­sref­er­en­dum im Sep­tem­ber wer­den sollte. Der Erste Min­is­ter Schot­t­lands, Alex Salmond, von der Schot­tis­chen Nation­al­partei debat­tierte mit dem Leit­er der „Bet­ter Togeth­er“ Kam­pagne, Alis­tair Dar­lin. Im Vor­feld wurde viel über dieses Duell geschrieben: Es war klar, dass das Hauptziel für bei­de Kam­pag­nen das Überzeu­gen von noch Unentschlosse­nen war — oder zumin­d­est das Erre­ichen der­jeni­gen, die in ihrer Mei­n­ung noch nicht ganz gefes­tigt sind. Diese Gruppe, die eventuell auch ihre Mei­n­ung noch ändern würde, macht bis zu ein Vier­tel der Wäh­ler­schaft aus. Sie sind diejeni­gen, die eventuell noch auf die eigene Seite gezo­gen wer­den kön­nen (obwohl die meis­ten schon eine Ten­denz haben). Es war klar, wenn man diese Gruppe nicht erre­ichen kann, wird es schw­er, diese zukün­ftig zu überzeugen.

In TV-Debat­ten richtet sich die Aufmerk­samkeit natür­lich stark auf die Disku­tan­ten und die Ein­schätzung ihrer Leis­tung, die nicht nur auf Basis der Qual­ität ihrer Argu­mente son­dern auch ins­beson­dere auf Grund­lage ihres per­sön­lichen Auftre­tents evaluiert wird. Vor der Debat­te gab es einen schein­baren Kon­sens in vie­len Medi­en: Alex Salmond sei der bessere Red­ner und werde deut­lich bess­er abschnei­den als der weniger charis­ma­tis­che Alis­tair Dar­ling, der wegen sein­er Reserviertheit (oder auch Langeweile in weniger sub­tilen Kom­mentaren) kri­tisiert wurde. Gle­ichzeit­ig wurde Salmond aber auch als stärk­er unter Druck ste­hend dargestellt, da „Yes“ in den Umfra­gen hin­ten lag, sodass er mit einem Riesen­vor­sprung gewin­nen müsste, um dieses zu verän­dern, während Dar­ling ein Unentsch­ieden reichen würde.

Das Ergeb­nis am Ende des Abends: Die meis­ten Kom­men­ta­toren nan­nten es ins­ge­samt ein Unentsch­ieden ohne klaren Sieger — aber mit ein­er pos­i­tiv­en Ein­schätzung von Alis­tair Dar­ling, der ange­blich über­raschen­der­weise ani­miert und aggres­siv war, während Salmond zeitweise sog­ar defen­siv auf­trat. Während er zeitweise staatsmän­nisch agierte, griff er manch­mal zurück auf unglück­liche For­mulierun­gen (die Schot­t­land-angreifend­en Aliens sind dabei eines der merk­würdig­sten). Die Argu­mente waren auf kein­er Seite beson­ders gut und der Fokus lag erwartungs­gemäß auf der per­sön­lichen Leis­tung der Debattierenden.

Die Diskus­sion selb­st war nicht her­aus­ra­gend. Die Haupt­the­men (vor­rang­ing die Währungs­frage, aber auch Europa) sind zwar Lieblingsstre­it­punk­te der Kam­pag­nen und Medi­en, bilden aber nicht die The­men ab, die eine wichtige Rolle für die Entschei­dung der Mehrheit der Schot­ten spie­len; vor allem nicht für die Unentschlosse­nen – wie wir (und andere) in ver­schiede­nen Stu­di­en gezeigt haben. Die The­men, auf die sich in der Debat­te am meis­ten bezo­gen wurde, waren die, denen die Kam­pag­ne­nan­hänger große Aufmerk­samkeit schenken. Das sind jedoch nicht die Prob­leme, für die sich der Großteil der Unentschlosse­nen inter­essiert. Haupt­stre­it­felder für die Unentschlosse­nen (wie Wirtschaft­spoli­tik, Renten­pläne und der Umgang mit dem Nord­seeöl) wur­den zwar zum Ende hin ange­sprochen, lei­der war die Zeit um, bevor man stärk­er ins Detail hätte gehen kön­nen. Wenige unetschlossene Wäh­ler fan­den diese Diskus­sio­nen hil­fre­ich. Während Alex Salmond die Möglichkeit über tat­säch­liche poli­tis­che Pläne zu sprechen ver­schenk­te und stattdessen rein rhetorische Aspek­te („Project Fear“) in sein­er ersten Frage ansprach, redete Alis­tair Dar­ling fast auss­chließlich über die oben­ge­nan­nten The­men, ohne auf die wichti­gen Fra­gen, die unentschlossene Wäh­ler disku­tieren woll­ten, einzugehen.

Allerd­ings war nicht nur die Qual­ität der Debat­te begren­zt, auch die Kom­mentare danach waren nicht bess­er. Das lag vor allem auch daran, dass nur wenige Medi­en­vertreter die Konzen­tra­tion auf The­men, die nicht wichtig für die Unentschlosse­nen waren, kri­tisierten, aber gle­ichzeit­ig diese Gruppe als Fokus für die Poli­tik­er her­ausstell­ten – das liegt sicher­lich auch daran, dass viele Medi­en weit­er die Fra­gen disku­tierten, die viele akademis­che, poli­tis­che und medi­ale Kreise beson­ders wichtig fan­den. Sie ignori­erten jedoch, was die Mehrheit der Wäh­lerin­nen und Wäh­ler vor­rangig inter­essierte. Mir kam es oft so vor, als ob der Tenor und Ablauf der Analyse des Abends schon vorher fest­geschrieben stand: Alex Salmond wurde in ein­er Lage dargestellt, in der er — ohne ein Wun­der — nicht gewin­nen kon­nte, da nur ein grandios­er Tri­umph als Sieg gegolten hätte. Während viele sein­er Argu­mente und ver­fehlten Gele­gen­heit­en auch tat­säch­lich Kri­tik ver­di­en­ten, kon­nte ich das Gefühl nicht abschüt­teln, dass die Präsen­ta­tion der Sit­u­a­tion und die Über­raschung über die Bal­ance der Leis­tun­gen der Disku­tan­ten durchgängig über­trieben war.

Alis­tair Dar­ling ist kein drit­tk­las­siger Akteur in der britis­chen Poli­tik. Er was Schatzkan­zler (Finanzmin­is­ter) und damit eines der wichtig­sten Kabi­nettsmit­glieder unter Pre­mier­min­is­ter Gor­don Brown. Er wurde 1987 das erste Mal ins britis­che Par­la­ment in West­min­ster gewählt und hat dort als Abge­ord­neter und Min­is­ter in einem der debat­ten­stärk­sten Par­la­mente heftige Schlagab­tausche geführt und unter anderem den Haushalt in der Finanzkrise verteigen müssen. Ihn als Fig­ur zu porträtieren, die nur ver­lieren kon­nte, spielte seine Fähigkeit­en im Vor­feld stark herunter (wenn man zurückschaut und seine frühen Kam­pag­nenre­den aus den 1980ern ansieht, gewin­nt man ein Ver­ständ­nis dafür, wie gut er ver­schiedene Rollen in ver­schiede­nen Sit­u­a­tio­nen aus­füllen kann).

Ich finde es mehr als unglück­lich, wenn die Leis­tung eines Poli­tik­ers in ein­er Debat­te dann als bess­er eingeschätzt wird, wenn er den Geg­n­er schon im Eröff­nungsstate­ment per­sön­lich angreift, weil das ange­blich Lei­den­schaft zeigt. Während die Jubel­rufe aus dem Pub­likum auf bei­den Seit­en eher die Leute repräsen­tierten, die ihre Mei­n­ung gefes­tigt hat­ten und sich nun von der Per­son, die sie sowieso unter­stützten, bestätigt darin fan­den, mussten diejeni­gen, die noch immer ver­suchen zu entschei­den, welchen Fak­ten sie eher Ver­trauen schenken, wohl still hof­fen, dass die Debat­te sich irgend­wann weit­er­en­twick­eln würde. Wenn die näch­ste Aus­gabe (voraus­sichtlich am 25. August in der BBC) irgen­det­was für die, die sich ern­sthaft noch mit Kern­fra­gen auseinan­der­set­zen wollen, erre­ichen soll, müssen die Kan­di­dat­en ihre alten, ver­braucht­en Floskeln weglassen und sich weniger darauf konzen­tri­eren, ihre eige­nen Unter­stützer zufrieden­zustellen (die sowieso von ihnen überzeugt sind). Außer­dem müssen aber auch die Kom­men­ta­toren in Medi­en und Forschung mit der Debat­te in ein­er Art und Weise umge­hen, die nicht vor­pro­gram­miert ist, um die Analy­sen nach den Diskus­sio­nen sub­stantieller wer­den zu lassen als ein­fache Bestä­ti­gun­gen der Sto­ries, die sie vorher kreiert haben.

Dr Jan Eich­horn ist der Forschungs­di­rek­tor von d|part, unter­richtet Social Pol­i­cy an der Uni­ver­si­ty of Edin­burgh und koor­diniert Forschung­spro­jek­te zu den öffentlichen Ein­stel­lun­gen zum Ref­er­en­dum in Schot­t­land inner­halb des „Future of the UK and Scot­land“ Pro­gramms des Eco­nom­ic and Social Research Coun­cils, durch den die Forschung finanziert wird.

Dis­claimer

Die in diesem Artikel dargelegten Ansicht­en und Mei­n­un­gen entsprechen denen des Autors.

 

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