Sind wir noch zu retten? – Ein paar Gedanken zur Kritik an unserer Demokratie


von Götz Har­ald Frommholz.

Dr. Götz Harald Frommholz

Neulich bin ich als Gast auf ein­er Podi­ums­diskus­sion an der Uni­ver­sität Mün­ster gewe­sen, um im Rah­men eines Pro­jek­t­woch­enen­des über das The­ma „Gen­er­a­tion Y“ zu disku­tieren. Sowohl im Plenum als auch auf dem Podi­um war eine gewisse Depres­sion zu spüren: Immer wieder wurde die eigene Hoff­nungslosigkeit gegenüber den ange­blich des­o­lat­en demokratis­chen Struk­turen in Deutsch­land geäußert. Aber ist es wirk­lich so, dass wir in der Mit­gestal­tung unseres poli­tis­chen Sys­tems ohn­mächtig sind?

Dass der Zus­tand unser­er Demokratie regelmäßig kri­tisiert wird, ist nichts Neues. Einiger­maßen neu ist daran höch­stens, wie im Zusam­men­hang mit Kri­tik am Zus­tand unser­er Demokratie The­sen zu Alter­na­tiv­en der Demokratie, z.B. der Post­demokratie, die u.a. von Col­in Crouch (2008) proklamiert wird, mit­tler­weile zum zen­tralen Bestandteil sys­temkri­tis­ch­er Debat­ten gewor­den sind.[1] In dieser Diskus­sion wer­den viele Kri­tik­the­men angeris­sen: Glob­al­isierung, Pri­vatisierung, Lob­by­is­mus und die schein­bare Unfähigkeit von Regierun­gen, wichtige Entschei­dun­gen zu tre­f­fen. Man hin­ter­fragt die beste­hen­den Struk­turen der repräsen­ta­tiv­en Demokratie und ruft nach mehr Meth­o­d­en der direk­ten Demokratie, um damit die Sit­u­a­tion zu verbessern. So sollen bspw. Volk­sentschei­de, Bürg­er­haushalte oder Zukun­ftswerk­stät­ten dabei helfen, die Entschei­dungskom­pe­ten­zen inner­halb unser­er Gesellschaft stärk­er auf die stimm­berechtigten Bürg­erin­nen und Bürg­er zu übertragen.

Auch hier stellt sich die Frage der Wahlmündigkeit. Wer soll in dem Ein­wan­derungs­land Deutsch­land an diesen Prozessen teil­nehmen dür­fen? Kön­nen wir das in ein­er so bun­ten Gesellschaft heute noch anhand der deutschen oder europäis­chen Staats­bürg­er­schaft fes­tle­gen? Bei vie­len Men­schen bre­it­et sich Res­ig­na­tion aus, da es eben nur in schein­bar kleinen Schrit­ten zu Verän­derung kommt und sich unsere Demokratie nur langsam den Her­aus­forderun­gen ein­er glob­al­isierten Gesellschaft anpasst. Hier­für ist das Demokratiede­fiz­it der EU ein passendes Beispiel. Ich bekomme den Ein­druck, dass immer mehr Men­schen die Mei­n­ung vertreten, dass uns mit der Demokratie — so wie wir sie momen­tan aus­führen — eh nicht mehr zu helfen ist.

Ein wichtiges The­ma in dieser Diskus­sion ist die Kri­tik an etablierten poli­tis­chen Parteien, die sich mit der Bestands­be­wahrung beschäfti­gen und nötige Refor­men ver­mei­den. Man ist lieber pop­ulär und wird wiedergewählt, als gesellschaft­srel­e­vante Entschei­dun­gen zu tra­gen und den eventuellen Zorn der Wäh­lerin­nen und Wäh­ler zu riskieren. Eine zen­trale These der Post­demokratie ist, dass die Parteien die Poli­tik als The­ater sehen und nur noch um die Gun­st des Pub­likums buhlen. Ger­hard Schröder musste mit sein­er Agen­da 2010 schmer­zlich erfahren, dass die Wahlur­nengänger unbe­queme Entschei­dun­gen tat­säch­lich lieber ver­mei­den. Angela Merkel hat dieses erkan­nt und ihre Regierungsstrate­gie mit großem Erfolg angepasst: Sie weicht Kon­flik­ten aus, indem sie wortwörtlich auf die Men­schen hört. Sie richtet ihr tage­spoli­tis­ches Geschäft prag­ma­tisch an in Auf­trag gegebene Mei­n­ung­sum­fra­gen aus.[2] Das mag gesellschaft­spoli­tisch kri­tisch sein. Den­noch ist es eine geniale Strate­gie, um ihre Pop­u­lar­ität zu stärken und so den Machter­halt zu sich­ern. Das sieht man auch an den Klien­telgeschenken der Großen Koali­tion (bspw. die Rente mit 63), die nichts mit Zukun­ftsvi­sio­nen und Prob­lem­be­wäl­ti­gung zutun haben. Es hil­ft auch nicht, dass wir momen­tan die wohlmöglich schwäch­ste Oppo­si­tion in der Geschichte des Bun­destags haben. Die des­o­late Sit­u­a­tion der Grü­nen und der Linken, die sich durch eine auf­fäl­lige The­menab­sti­nenz emp­fiehlt, macht es der Regierung leicht, ihren Kurs beizubehalten.

Es ist para­dox. Obwohl die Bürg­erin­nen und Bürg­er es lieber bequem haben möcht­en, ver­mis­sen sie trotz­dem die Pro­gram­matik in den Parteien und bleiben diesen und den Wahlur­nen mit steigen­der Ten­denz fern, ohne notwendi­ger­weise ihr poli­tis­ches Inter­esse zu ver­lieren (vgl. Güll­ner 2013). Wie meine Kol­le­gin Ann-Kristin Kölln (2015) prob­lema­tisiert, kön­nte es Parteien dro­hen, dass sie sich in „Wäh­lervere­ine“ umstruk­turi­eren. Ger­ade junge Men­schen tendieren zu wenig Parteien­bindung. Ihnen fällt es immer schw­er­er, sich mit etablierten Akteuren im repräsen­ta­tiv­en Sys­tem zu iden­ti­fizieren (vgl. Hey­er und Hüb­n­er 2013; Vowe 2014). Dieses haben wir auch jüngst in Schot­t­land nachgewiesen (Eich­horn 2014).

Dass poli­tis­che Akteure Schwierigkeit­en haben, gesellschaftlich wichtige Entschei­dun­gen zu tre­f­fen, kann auch mit der Reich­weite ihres Han­delns zutun haben. Nationale Entschei­dun­gen kön­nen nicht mehr ohne den Kon­text inter­na­tionaler Net­zw­erke gese­hen wer­den. Das trifft gle­icher­maßen für die NSA Affäre, den GDL Streik und die EU Finanzkrise zu. Auch hin­sichtlich dieser Prob­lematik bleibt der poli­tis­che Entschei­dungsträger auf ein­er The­ater­bühne ver­haftet, da es schw­er ist, alleine wirk­same Entschei­dun­gen auf dem inter­na­tionalen Par­kett zu tre­f­fen. Man benötigt inter­na­tionale Part­ner, um Poli­tik zu gestal­ten, da die Bedeu­tung der nationalen Gren­zen erodiert (vgl. Zürn 1998). So macht die Bun­desregierung den Ein­druck, in vie­len Entschei­dun­gen ohn­mächtig zu sein. Das ist teil­weise sicher­lich nicht ihre Schuld.

So kön­nte ich jet­zt den Reigen der Kri­tik beliebig weit­er­spin­nen. Diese ist zwar größ­ten­teils berechtigt. Es stimmt mich jedoch trau­rig, wenn ich mich mit – dur­chaus poli­tisch aktiv­en – Men­schen unter­halte und sie ihre Hoff­nungslosigkeit kund­tun. So war dieses auch der Fall während der Podi­ums­diskus­sion in Mün­ster. Denn wenn es tat­säch­lich so wäre, dass wir auf­grund der Über­ma­cht des Lob­by­is­mus, der Kom­plex­ität der Entschei­dungs­find­ung inner­halb der Poli­tik und der Glob­al­isierung im All­ge­meinen nicht mehr in der Lage sind, einen demokratis­chen Staat zu organ­isieren, dann wäre meine Arbeit und die von d|part über­flüs­sig. Auch die vie­len anderen Organ­i­sa­tio­nen, die für die Ein­bindung von Men­schen in demokratis­che Prozesse kämpfen, kön­nten ihr Engage­ment einstellen.

Es gilt also, eine zen­trale Frage zu beant­worten: Sind wir und unsere Demokratie noch zu ret­ten? Darauf habe ich eine klare Antwort: Ja! Selb­stver­ständlich kann man fun­da­men­tale Sys­temkri­tik am demokratis­chen Sys­tem üben. Diese kann dur­chaus auch ide­ol­o­gisch verortet sein. Aber bei aller Kri­tik und Hoff­nungslosigkeit sollte man eines nicht vergessen: Bei allen Ver­fehlun­gen und Schwächen unseres demokratis­chen Sys­tems ist es immer noch die Staats­form mit den wenig­sten „Prob­le­men“.

Das Schwierige ein­er fun­da­men­tal­en Sys­temkri­tik ist, dass sie bes­timmt wird von einem Duk­tus des „wir hier unten“ gegen „die da oben“. Doch in ein­er Demokratie geht es um weit mehr als nur um die Auseinan­der­set­zung mit ein­er herrschen­den Elite. Vielmehr geht es um die Koor­di­na­tion des Miteinan­ders basierend auf dem Konzept der Kom­mu­nika­tion und der Ver­hand­lung. Denn ein wesentlich­er Bestandteil unseres demokratis­chen Sys­tems ist auch das zivilge­sellschaftliche und bürg­er­liche Engage­ment. Auch dieses ist poli­tisch und macht Poli­tik aus. Somit soll­ten wir uns nicht nur mit den Ver­fehlun­gen der Regierung auseinan­der­set­zen son­dern auch mit den Meilen­steinen des Engage­ments außer­halb der repräsen­ta­tiv­en Demokratie.

Denn unser Prob­lem ist nicht unbe­d­ingt ein Prob­lem der Demokratie, vielmehr ist es ein Prob­lem der Parteien (vgl. Merkel und Petring 2012). Immer weniger Men­schen kön­nen sich mit den etablierten Parteien iden­ti­fizieren[3] und suchen sich alter­na­tive Möglichkeit­en, sich poli­tisch einzuset­zen. Den­noch kön­nen wir beobacht­en, dass die Inter­ak­tion mit dem repräsen­ta­tiv­en Sys­tem funk­tion­iert. Durch geschaf­fene Foren kön­nen sich Men­schen engagieren und etwas bewe­gen. Sei es durch die Volk­sentschei­de zu Stuttgart 21 oder zum Verbleib des Tem­pel­hofer Felds in Berlin: Men­schen engagieren sich und set­zen etwas um. Ein Schlüs­sel zur Verbesserung des Zus­tands unser­er Demokratie liegt somit sicher­lich in den Inhal­ten poli­tis­ch­er Pro­gramme. Unter schot­tis­chen Wäh­lern kon­nten wir sowohl während des Unab­hängigkeit­sref­er­en­dums 2014 als auch bei den gesamtbri­tis­chen Unter­hauswahlen 2015 fest­stellen, dass Parteien Men­schen mobil­isieren kön­nen, wenn wichtige The­men ange­sprochen wer­den, die die Men­schen bewe­gen, und Ver­sprechen nach der Wahl auch umge­set­zt wer­den (vgl. Eich­horn und Frommholz 2014).[4]

Auch wenn wir den Fokus auf unsere direk­te Umge­bung leg­en, dann sieht es trotz post­demokratis­ch­er Ten­den­zen gar nicht so schlecht mit unser­er Demokratie aus. Wir müssen mit unserem Engage­ment nur vor der eige­nen Haustür anfan­gen und auch mal die pos­i­tiv­en Beispiele poli­tis­ch­er Par­tizipa­tion wertschätzen.


Dr. Götz Har­ald Frommholz ist Part­ner bei d|part. In sein­er Forschung inner­halb des Think Tanks und sein­er Lehre an unter­schiedlichen Hochschulen (u.a. HWR und HMKW) set­zt er sich für die Analyse und Förderung poli­tis­ch­er Par­tizipa­tion ein.

Dis­claimer

Die in diesem Artikel geäußerten Ansicht­en und Mei­n­un­gen entsprechen denen des Autors.

Crouch, Col­in, 2008: Post­demokratie. Frank­furt am Main: Edi­tion Suhrkamp.

Eich­horn, Jan, 2014: Brief­ing: How low­er­ing the vot­ing age to 16 can be an oppor­tu­ni­ty to improve youth polit­i­cal engage­ment. Berlin: d|part.

Eich­horn, Jan, und Götz Har­ald Frommholz, 2014: How polit­i­cal mobi­liza­tion can still work on sub­stan­tive issues — Insights from the Scot­tish Ref­er­en­dum. Europa Bot­tom-Up: S. 5–27.
Güll­ner, Man­fred, 2013: Nichtwäh­ler in Deutsch­land: Diet­mar Moltha­gen/Friedrich-Ebert-Stiftung.

Hey­er, Anne, und Chris­tine Hüb­n­er, 2013: „Von der gesellschaftlichen Ver­ant­wor­tung und so…!“ Moti­va­tio­nen & Bar­ri­eren für poli­tis­che Beteili­gung. Berlin. d|part.

Jochem, Sven, 2013: Entza­uberun­gen der Demokratie – The­o­rien der Post­demokratie im Ver­gle­ich. S. 445–456 in: Armin­geon, Klaus (Hg.), Staat­stätigkeit­en, Parteien und Demokratie. Springer Fachme­di­en Wiesbaden.

Kölln, Ann-Kristin, 2015: Back to the roots — Wie sich ver­hin­dern lässt, dass die Mit­glieder­parteien zu Wäh­lervere­inen wer­den. Die Poli­tis­che Mei­n­ung 2015: S. 78–82. http://www.kas.de/wf/doc/kas_40371-544–1‑30.pdf?150220145526.

Merkel, Wolf­gang, und Alexan­der Petring, 2012: Poli­tis­che Par­tizipa­tion und demokratis­che Inklu­sion. S. 93–119 in: Mörschel, Tobias , und Chris­t­ian Krell (Hg.), Demokratie in Deutsch­land. VS Ver­lag für Sozialwissenschaften.

Vowe, Ger­hard, 2014: Dig­i­tal Cit­i­zens und Schweigende Mehrheit: Wie verän­dert sich die poli­tis­che Beteili­gung der Bürg­er durch das Inter­net? Ergeb­nisse ein­er kom­mu­nika­tion­swis­senschaftlichen Langzeit­studie. S. 25–52 in: Voss, Kathrin (Hg.), Inter­net und Par­tizipa­tion. Bürg­erge­sellschaft und Demokratie. Springer Fachme­di­en Wiesbaden.

Zürn, Michael, 1998: Regieren jen­seits des Nation­al­staats. Frank­furt am Main: Suhrkamp.
 

[1] Wer sich hier­für inter­essieren sollte: Sven Jochem(2013) hat sich mal die Mühe gemacht und ein paar ein­flussre­iche The­o­rien zusammengetragen.

[2] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/angela-merkel-meinungsforscher-beeinflussen-arbeit-der-kanzlerin-a-990231.html

[3] Siehe PEGIDA, AfD und Piraten

[4] Mehr zu den Gen­er­al Elcetions: http://blogs.lse.ac.uk/politicsandpolicy/there-was-no-rise-in-scottish-nationalism-understanding-the-snp-victory/?utm_content=bufferc06bf&utm_medium=social&utm_source=twitter.com&utm_campaign=buffer

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