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Voices on Values: Über den Osten nichts Neues?

Im Jahr 30 nach dem Mauerfall wird nichts so heiß diskutiert wie die Tatsache, ob inzwischen “zusammengewachsen ist, was zusammengehört“ oder ob es nicht doch „neue, tiefe Risse“ zwischen Ostdeutschen und Westdeutschen gibt.

Es gibt Unterschiede zwischen Menschen in Ost- und Westdeutschland, das zeigen auch die Daten der vorliegenden Studie. In der von d|part und dem Open Society European Policy Institute (OSEPI) deutschlandweit durchgeführten repräsentativen Umfrage zeigten sich Befragte im Osten Deutschlands im Schnitt skeptischer gegenüber Einwandernde. Sie schätzten im Vergleich zu Westdeutschen die Aufnahme von Flüchtenden häufiger als schlecht ein und sahen Migration eher als Bedrohung für die Gesellschaft.

Ob diese Unterschiede jedoch ein Hinweis auf „neue, tiefe Risse“ zwischen Menschen in Ost- und Westdeutschland sind, ist infrage zu stellen. Ein genauerer Blick darauf, was für die Befragten eine gute Gesellschaft ausmacht, zeigt deutlich, dass es unter Menschen in Ostdeutschland mindestens ebenso viele verschiedene Vorstellungen von einer guten Gesellschaft gibt wie im Rest des Landes. Den einen typischen „Ossi“ gibt es genauso wenig wie den typischen „Wessi“.

Vielmehr stehen Unterschiede in den Einstellungen von Befragten in Ost und West eher im Zusammenhang mit demographischen Faktoren und den verschiedenen Wendeerfahrungen von Menschen unterschiedlichen Alters. So zeigten sich die vor dem Mauerfall geborenen, heute 35- bis 54-jährigen Befragten in Ostdeutschland (70,9 Prozent) deutlich skeptischer in Bezug auf Fragen der Migration als jüngere Ostdeutsche (37,5 Prozent) oder gleichaltrige Westdeutsche (47,3 Prozent). Auch betonten Erstere in ihren Vorstellungen von einer guten Gesellschaft eher die Wichtigkeit der Interessen der Mehrheit sowie deutsche Traditionen und deutsche Kultur als Befragte im Rest des Landes.

Dies ist vielfach nur bis zu einem begrenzten Maße auf einen neuen Nationalismus zurückzuführen. Stattdessen spielen Fragen der Identität und Zugehörigkeit für viele Menschen in Ostdeutschland eine besondere Rolle. So waren den Befragten im Osten jegliche Identifikationsmöglichkeiten mit anderen sozialen Gruppen wie zum Beispiel Menschen mit gleichem Beruf, in der gleichen Stadt oder Region, deutlich wichtiger als denen im Westen Deutschlands.

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass unterschiedliche Einstellungen zu Fragen der Migration und zu einer offenen Gesellschaft zwischen Ost und West zu einem großen Teil auf die vor dem Mauerfall Geborenen und deren besondere Erfahrungen nach der Teilung Deutschlands zurückzuführen sind. Anstatt von „neuen, tiefen Rissen“ zwischen Menschen in Ost- und Westdeutschland zu sprechen, scheint es in Anbetracht der Ergebnisse dieser Studie angebrachter, auf das Bestehen von alten und lang nicht verarbeiteten Unterschieden hinzuweisen. Die verschiedenen Wendeerfahrungen von Menschen in Ostdeutschland und vor allem ihre Heterogenität anzuerkennen, mag zwar schwieriger erscheinen als die pauschale Beurteilung aller „Ossis“ als einen homogenen Typ, stellt aber 30 Jahre nach dem Fall der Mauer den vielleicht wichtigsten Beitrag zur deutschen Einheit dar.

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