Das Rätsel vom Online-Wahlkampf zur Bundestagswahl


von Chris­tine Hüb­n­er.

In den let­zten paar Wochen habe ich eine Menge Zeit online ver­bracht. Ich glaube sog­ar, dass ich mehr  Zeit online ver­bracht habe als gewöhn­lich — wenn das über­haupt möglich ist für Mit­glieder der Online-Gen­er­a­tion. Halb aus wis­senschaftlich­er Neugi­er und so halb, weil wir den Wahlkampf sowieso aufmerk­sam über Online-Medi­en ver­fol­gt hät­ten, haben wir bei d|part beschlossen, während der vier Wochen rund um die Bun­destagswahl im Sep­tem­ber ein Auge darauf zu wer­fen, wie sich die Kan­di­dat­en online präsen­tieren würden.

Wir waren beson­ders neugierig, weil es in diesem Jahr so viel Aufmerk­samkeit gab für das The­ma ‚Inter­net‘ in poli­tis­chen Kreisen. Eine Entwick­lung, die uns glauben ließ, die Parteien hät­ten einen richti­gen Plan davon, wie sie das Inter­net für ihre Kam­pag­nen im Bun­destagswahlkampf ver­wen­den wollten.

  • So verpflichtete Kan­z­lerin Merkel zum Beispiel alle ihre Abge­ord­neten zum Social Media Train­ing und hat­te den Bürg­ern im April sog­ar die Möglichkeit eingeräumt, mit ihr während eines ersten Live-Chats via Google Hang­out online zu diskutieren.
  • Die Sozialdemokrat­en schick­ten eigens Mit­glieder in die USA, um von Barack Oba­ma & Co. zu ler­nen, wie man erfol­gre­ich einen Online-Wahlkampf betreibt. Und sie heuerten die hau­seigene Kom­mu­nika­tion­sagen­tur D64 Media an, sich allein auf Online-Kam­pagne der Partei zu konzentrieren.
  • Die Grü­nen gaben an, voraus­sichtlich 80% ihres Kam­pag­nen­bud­gets für Online-Medi­en aus­geben zu wollen — rund 4,4 Mil­lio­nen Euro immerhin.
  • Erst­mals ging die im Inter­net sowieso omnipräsente Piraten­partei auf Bun­de­sebene an den Start. Eine Partei, von der wir erwarteten, dass sie das Gros ihres Wahlkampf­bud­gets von rund ein­er Mil­lion Euro online ver­brat­en würde – als ob die was anderes damit anzustellen wüssten…
  • Zusät­zlich zu all dem sind während der ver­gan­genen Leg­is­laturpe­ri­ode (semi-)Partei-assoziierte Agen­turen und Think Tanks in Berlin wie Pilze aus dem Boden gesprossen: Men­schen, die sich unter gewitzten Namen wie CNetz , D64 und Digiges zusam­mengeschlossen haben, um der Online-Kom­pe­tenz ihrer Parteien auf die Sprünge zu helfen.

Trotz all unser­er Hoff­nun­gen: Nach vier Wochen Analyse find­en wir hor­rende Defizite, wenn es um die Online-Kam­pag­nen der einzel­nen Kan­di­dat­en geht. Defizite, die mich wirk­lich rat­los lassen, was es genau war, dass die Parteien in diesem Wahlkampf online alles erre­ichen wollten.

Wir haben uns in unser­er Analyse darauf konzen­tri­ert, die Online-Welt aus der Sicht der Bürg­er zu betra­cht­en, die sich für eine Partei und für einen Direk­t­wahlka­n­di­dat­en in ihrem Wahlkreis entschei­den müssen. Auf der Suche nach Infor­ma­tio­nen über „unsere“ Wahlkreiskan­di­dat­en unter­sucht­en wir die Google-Hitliste, Präsenz in sozialen Net­zw­erken sowie die Web­seit­en der Kan­di­dat­en. Während sich die Kan­di­dat­en von Christ-und Sozialdemokrat­en oft mit pro­fes­sionellen, aber wenig authen­tis­chen Web­seit­en rühmten, waren Kan­di­dat­en kleiner­er Parteien manch­mal nir­gends im Netz zu find­en. Wir waren über­rascht, als wir real­isierten, dass zwar eine Menge der Kan­di­dat­en in unser­er Stich­probe eine Face­book-Seite zur Kom­mu­nika­tion benutzten, sich­er aber für gut die Hälfte dieser Face­book-Pro­file die Kom­men­tar­funk­tion deak­tiviert war, um ja keinen Dia­log zus­tande kom­men zu lassen.

facebookFace­book-Pro­file als Online-Plakatwände ohne Nutzerkommentare

Am meis­ten aber rät­se­le ich über die Ver­wen­dung von Video­ma­te­r­i­al als Infor­ma­tion­squelle: Kaum ein Kan­di­dat nutzte die Ein­fach­heit kurz­er Videobotschaften, um Wäh­ler auf den neusten Stand zu brin­gen. Liebe Kan­di­dat­en, jed­er 16-jährige Teenag­er weiß, wie man tausend Klicks auf Youtube bekommt! Schaut man im Ver­gle­ich bei Youtube auf die Anzahl der Klicks, die so manche verwack­elte Selb­stauf­nahme von Teenag­er-Monolo­gen bekommt, dann ist es kein Mys­teri­um mehr, warum die Zahl der Nichtwäh­ler in der Gruppe der 18–25 Jähri­gen am höch­sten war. Die Ver­mu­tung liegt nahe, dass diese Smart­phone-Kids keinen Wert mehr auf TV-Spots oder Straßen­plakate leg­en, weil sie sie schlichtweg nicht sehen.

YoutubeJed­er 16-jährige Youtu­ber hätte es bess­er gekonnt

Ins­ge­samt haben die Parteien in diesem Wahlkampf rund 70 Mil­lio­nen Euro aus­gegeben. Den Löwenan­teil davon mit rund 20 Mil­lio­nen Euro jew­eils hat­ten die SPD und die CDU zur Ver­fü­gung. Genug Geld, um zumin­d­est einen Teil davon für ein­fach handzuhabende Web­site-Tem­plates und etwas Nutzer­train­ing für ihre Kan­di­dat­en auszugeben, würde man meinen. Aber Geld wurde in erster Lin­ie für die tra­di­tionellen Kam­pag­nenuten­silien aus­gegeben: TV-Spots, über­lebens­große Wer­be­plakate, Kugelschreiber und Luft­bal­lons, Fly­er und – ich hätte nicht gedacht, dass das wirk­lich noch ein­er macht – Postwurfsendungen.

Während die Deutschen in absoluten Zahlen immer noch eine Menge fernse­hen – mehr als 3,5 Stun­den pro Tag – ist der durch­schnit­tliche täglichen TV-Kon­sum im Jahr 2012 zum ersten Mal seit langer Zeit zurück­ge­gan­gen Vor allem die jün­geren Alters­grup­pen sehen weniger fern und ziehen stattdessen andere Medi­en­ange­bote vor. Basierend auf diesen (öffentlich zugänglich) Zahlen und der ein­fachen Gle­ichung “jün­geren Alters­grup­pen = zukün­ftige Wäh­ler” hätte jed­er vernün­ftige Mar­ket­ing­ber­ater emp­fohlen, die Bemühun­gen der Kan­di­dat­en auf sowohl Online- als auch Offline-Medi­en zu verteilen. Beson­ders wenn es um die tausenden von Bun­destagskan­di­dat­en an der Basis geht, die mit geziel­ter Online-Kom­mu­nika­tion bei den Bürg­ern in ihrem Wahlkreis viel mehr erre­ichen kön­nten als ein all­ge­mein­er nationaler TV-Spot.

Ich zer­breche mir jet­zt schon ein paar Tage den Kopf darüber – hier ist, wom­it ich bish­er aufwarten kann:

  • Ich weiß aus Erfahrung, wie schwierig und ner­ve­naufreibend es sein kann, eine gute Web-Präsenz aufzubauen und das macht man sicher­lich nicht mal so eben über Nacht.
  • Auch ist es sich­er sehr zeitaufwendig, ständig und aktuell online zu sein.
  • Ich kann mir vorstellen, dass einige Poli­tik­er auf­grund neuster Shit Storms vor­sichtig sind mit ihrer Online-Präsenz und davor zurückschreck­en, die Kom­mu­nika­tion mit dem Bürg­er im Netz ein­fach mal so auszuprobieren.

Angesichts der Tat­sache aber, dass die Parteien selb­st den Durch­bruch im Online-Wahlkampf aus­gerufen haben, hätte ich einen wirk­lichen Plan der Poli­tik­er erwartet, mit diesen Startschwierigkeit­en umzuge­hen. Es gab in unser­er Stich­probe in der Tat ein paar Kan­di­dat­en, die eine gute Online-Präsenz hin­le­gen. Was mich aber über­rascht, ist, dass diese Kan­di­dat­en Einzelfälle aus allen Parteien sind. Dass es im Gegen­zug über alle Parteien hin­weg ein struk­turelles Online-Defiz­it gibt. Es ist kein klar­er Trend zu erken­nen, keine Partei, bei der man sehen kann, dass sie und ihre Kan­di­dat­en auf dem richti­gen Weg sind. Ich werde das Gefühl nicht los, dass hier entwed­er jemand seine Hausauf­gaben nicht gemacht hat oder absichtlich seinen gesun­den Men­schen­ver­stand ignori­ert. Meine Logik muss offen­sichtlicher­weise irgend­wo einen Fehler haben, wenn ich denke, dass es irgend­wo in dem ganzen magis­chen Kreis von Poli­tik­ern und Beratern jemand gäbe, der es bess­er hätte wis­sen müssen.

Wenn jemand von euch dies liest, liebe Parteis­trate­gen, liebe Mit­glieder von CNetz, D64 und Digiges, lasst uns wis­sen, was genau die Online-Strate­gien für Eure Parteien sind – WIR KONNTEN NÄMLICH NICHTS DAVON ENTDECKEN! Bitte, bitte, falls jemand aus den Strate­giekreisen der großen Parteien  kommt oder sich dort ausken­nt, helft uns weit­er und erk­lärt uns, was der Grund für die Zurück­hal­tung ist und was in Zukun­ft online geplant ist. Andern­falls wird mich dieses Rät­sel noch eine Weile beschäfti­gen. Dankeschön!

PS: Der ganze Bericht zur Unter­suchung der Online-Kam­pag­nen ist hier abrufbar.

Chris­tine Hüb­n­er ist Part­ner­in bei d|part.

Dis­claimer

Die in diesem Artikel geäußerten Ansicht­en und Mei­n­un­gen entsprechen denen der Autorin.

Titel­bild:  No Inter­net Con­nec­tion von Ben Dal­ton via Flickr, veröf­fentlicht unter Cre­ative Commons.

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